Jonathan Lethem, Motherless Brooklyn

 

 Jonathan Lethem, Motherless Brooklyn

Amerikan. Erstausgabe 1999: Knopf-Doubleday (Penguin Random House)

Deutsch u.a. bei Goldmann Verlag (2004), übersetzt von Michael Zöllner

Taschenbuch, 384 Seiten, ISBN-13 : 978-3442541874

 


Gleich vorweg: Die Rahmenhandlung ist ein Mord im Gangster- und Mafiosi-Milieu, in der Machart eines "Hard-Boiled Krimis" im Stil von Nero Wolfe oder Chester Himes. Es ist eine Hommage an Brooklyn/New York und es geht um eine
neuropsychiatrische Erkrankung namens Tourette-Syndrom (TS), die sich in sogenannten Tics – kuriose Wortäußerungen, repititive Handlungen oder Bewegungen – äußert. 

 

Hartgesottene Ganoven mit sanftem Gemüt

Der Autor von „Motherless Brooklyn“, Jonathan Lethem, stellt einen symphatischen Protagonisten und seine Zwangsneurosen in den Vordergrund: Lionel Essrog, der Erzähler des Romans, leidet unter dem Tourette-Syndrom, doch Mitleid oder Sentimentalität sind ihm fremd. Er fühlt sich „trapped like a rolling ocean under a calm floe of ice“ und begibt sich auf eine ständige Gratwanderung zwischen Selbstkontrolle und Kontrollverlust. Die gewisse Komik, die damit verbunden ist, ist Lionel gelegentlich aber auch nützlich, da man ihn nie ganz ernst nimmt. 

 

Lionel verbringt seine Kindheit in den 1970er-Jahren im Waisenhaus St. Vincents in Brooklyn, bis ein kleiner, aber großherziger und allseits respektierter Mafioso namens Frank Minna ihn und drei weitere Jungen erst für bestimmte Aufträge („Umzüge“), später dann dauerhaft aus dem Heim holt. Aus den vier Waisen werden die „Minna Men“, die unter dem Deckmantel eines Fahrservice Detektivdienste unter dem Firmenlabel „L&L“ anbieten. Alle vier - Lionel Essrog, Tony Vermonte, Gilbert Coney und der Afroamerikaner Danny Fantl - sind Detektive ohne Lizenz und werden als höchst unterschiedliche, sympathisch-unbeholfene Gestalten geschildert. 

 

„Freakshow“ ermittelt

Lionel, der unter seinen Tics leidet, als Sonderling gilt und „Crazyman“ oder „Freakshow“ genannt wird, schätzt seinen Chef Minna, der für ihn zur Vaterfigur geworden ist. Eines Nachts wird dieser jedoch nach Verlassen eines Zendo- (Buddhisten-) Zentrums niedergestochen und Lionel, der den Sterbenden noch ins Krankenhaus gebracht hat, leidet unter dem Verlust und sinnt nach Rache.


Er macht sich auf die Suche nach Franks Mörder und dringt immer tiefer in Brooklyns Unterwelt vor, wo anscheinend niemand der ist, als der er sich ausgibt, vor allem nicht Franks Bruder Gerard und seine Frau Julia oder die dubiosen Mafiosi-Auftraggeber Rockaforte und Matricardi, und auch nicht jene japanische Corporation, für die Frank ebenfalls arbeitet.


Gilbert Coney, Lionels bester Freund, ist zwischenzeitlich wegen Mordanklage an einem der japanischen Strippenzieher im Gefängnis gelandet und Kollege Tony Vermonte hofft, nach dem Tod von Minna dessen Position einnehmen zu können. Obwohl er Lionel verachtet und sich ständig über ihn lustig macht, versucht dieser ihn zu warnen. Tony wird jedoch vom „Giganten“ um die Ecke gebracht ehe Lionel diesen ausschalten kann und es quasi zum Showdown und zur Aufklärung des Falles mit Julia Minna kommt.

 


Vom Buch zum Film

 

Jonathan Lethem ist 1964 in Brooklyn geboren und wuchs nahe dem Gowanus Canal, in Boerum Hill, auf – ein Viertel, von dem er selbst sagt: „if you grew up in this neighborhood you became a cop or a criminal“. Als Sohn eines Malers und einer politischen Aktivistin studierte er ebenfalls erst Malerei, wandte sich dann aber der Literatur zu. Seine großen Erfolge feierte er mit zwei Romanen, die in eben jenem Stadtteil angesiedelt sind: „Motherless Brooklyn“ (1999) und „The Fortress of Solitude“ (2003). Lethem lebt inzwischen in Südkalifornien und hält eine Professur für Creative Writing inne.

 »Motherless Brooklyn« gibt es seit 2019 auch als Film. Der Autor selbst hatte sich schon 1999 an Edward Norton gewandt wegen der Verfilmung seines Romans. Erst fast zehn Jahre später kam dieser auf die Leinwand, die Premiere fand während des Telluride Film Festivals statt. Außer Regisseur und Drehbuchschreiber Norton selbst, spielen Willem Dafoe, Gugu Mbatha-Raw, Alec Baldwin und Bruce Willis Rollen.

© Text & Fotos: MB