Charles C. Mann, Amerika vor Kolumbus. Die Geschichte eines unentdeckten Kontinents


Charles C. Mann, 

Amerika vor Kolumbus. Die Geschichte eines unentdeckten Kontinents.

Rowohlt Verlag Hamburg, 2016 (dt. Erstausgabe, übersetzt von Bernd Rullkötter)

720 Seiten, gebunden, 29,95 €


 

 


Neue Funde und Forschungsergebnisse haben in den letzten Jahrzehnten das bislang kursierende Bild vom vorkolumbischen Amerika in seinen Grundfesten ins Wanken gebracht. Zwar weiß man längst, dass Kolumbus nicht der erste Europäer in der „Neuen Welt“ war – Wikinger und europäische Fischer waren lange vor ihm an der Ostküste Nordamerikas unterwegs gewesen –, doch inzwischen müssen auch andere Aspekte neu überdacht werden.
 Einen spannend zu lesenden Überblick über den jüngsten Forschungsstand und überraschende neue Theorien liefert das Werk des Wissenschaftsjournalisten Charles C. Mann. Auf über 700 Seiten schafft es der preisgekrönte Autor, der u.a. für The Atlantic Monthly, Science, Geo, Stern, New York Times oder Washington Post schreibt und in Amherst/Massachusetts lebt, tief verwurzelte Vorstellungen über die „Entdeckung“ Amerikas und das koloniale Amerika über den Haufen zu werfen.


Indianische Kulturen in Nord- und Südamerika
Mann macht an zahlreichen Beispielen klar, dass die indianischen Kulturen in Nord- und Südamerika oft weiter entwickelt waren als jene der Europäer, und, dass die Indianer vor 1491 einige der größten und reichsten Städte weltweit bewohnten. Zudem waren sie keineswegs, wie häufig angenommen, von der Jagd und dem Sammeln von Wildfrüchten abhängig. Im Gegenteil, die meisten Völker betrieben Landwirtschaft.


Zudem war das „Amerika vor Kolumbus“ weit geschäftiger, vielseitiger und dichter bevölkert, und vor allem auch älter, als es sich die Forscher früher vorgestellt hatten. Erst als  die Europäer auftauchten, kam es zu fundamentalen Veränderungen. Zwei Zivilisationen trafen aufeinander, deren Geschichte und Kultur nicht unterschiedlicher hätten sein können. Für die Indianer war die Begegnung folgenschwer: Masern-, Pocken- und die Grippeviren, die die Europäer einschleppten, kosteten vielen das Leben und eingeschleppte Pflanzen brachten das Ökosystem durcheinander. So fanden beispielsweise die Pilgerväter 1620 bei ihrer Landung im heutigen Massachusetts eine fast verlassene Region vor und nutzten eine aufgelassene Indianersiedlung. Die hier lebende Gruppe von Nauset-Indianer war durch eine von englischen Fischern zuvor eingeschleppte Krankheit fast ausgerottet worden.


Neue Erkenntnisse über die indianische Lebensweise
Ähnliches hatte sich überall in der „Neuen Welt“ zugetragen, sodass die europäischen Siedler oft das Gefühl hatten, in einer Wildnis gelandet zu sein. Es ist der große Verdienst von Charles C. Mann, klar zu stellen, dass die beiden amerikanischen Kontinente nicht nur dicht besiedelt, sondern auch effektiv bewirtschaftet waren. An zahlreichen Beispielen, u.a. aus Neuengland, Mesoamerika (Mexiko) und Südamerika, erläutert er, dass indianische Kulturen, wie die der Irokesen, Inka oder Maya, weiterentwickelter waren als jene in Europa und dass manche indianische Stadt größer war als beispielsweise London oder Paris.


Der Autor gewährt überraschende Einblicke in die Lebensweise der Indianer und zeigt auf, wie noch heute ihre Mais-, Kürbis- und Kartoffelanbauflächen weite Teile des Kontinents prägen. Er betont, dass die Indianer zum großen Teil „keine nomadischen, ökologisch vorbildlichen Menschen, die zu Pferde Büffel jagten“ gewesen sind. Im Gegenteil: Sie schufen einige der größten und reichsten Städte der Welt, beispielsweise Norte Chico im heutigen Peru. Schade nur, dass im vorliegenden Band die Ancient Puebloans – früher als „Anasazi“ bekannt – nur am Rande vorkommen. Dabei hatten auch sie im nordamerikanischen Südwesten eine blühende Landschaftwirtschaft betrieben und zahlreiche große Siedlungen errichtet, die dann im 12. Jahrhundert plötzlich aufgegeben wurden.


Das englische Original von Manns Buch erschien erstmals 2006 unter dem Titel „1491: New Revelations of the Americas Before Columbus“, die deutsche Erstausgabe, übersetzt von Bernd Rullkötter, 2016. Von Mann stammt darüber hinaus ein Folgeband mit dem Titel „1493: Uncovering the New World Columbus Created“ (2011), als „Kolumbus’ Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen“ (2013) ebenfalls im Programm des Rowohlt Verlags.

© Fotos: Cover - Rowohlt Verlag, NC Tourism (Roanoke Island, lQueen Elizabeth II.), andere: MB - oben: Bild im ND Heritage Center Bismarck zur einstien Lebensweise der Mandan-Hidatsa, unten: Mesa Grande Cultural Park (Mesa/AZ).

Stadt Befreit. Wittelsbacher Gründerstädte.

Ausnahmsweise soll es in diesem Blogbeitrag einmal um Bayern statt um die USA gehen, aus aktuellem Anlass und weil es sich um ein wirklich lesenswertes Buch handelt.

Später als ursprünglich vorgesehen, nämlich erst am 10. Juni, startete das Haus der Bayerischen Geschichte (HdBG) in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Aichach-Friedberg und den Städten Aichach und Friedberg die Bayerische Landesausstellung 2020 mit dem Titel „Stadt befreit. Wittelsbacher Gründerstädte“. Die sehenswerte Ausstellung ist noch bis zum 8. November zu sehen und findet an zwei Plätzen statt: im neu renovierten Wittelsbacher Schloss in Friedberg und im ebenfalls neu gestalteten FeuerHaus in Aichach – beides Orte, an denen der Aufstieg des Adelshauses der Wittelsbacher einst ihren Anfang nahm.

Die Landesausstellung ist gut aufgemacht und blickt zurück in die Zeit nach 1180. Sie erzählt, wie und wann Bayern seine Städte bekam: in dem historisch gesehen kurzen Zeitraum, von etwa 1200 bis 1300. Der jungen Herzogsdynastie der Wittelsbacher diente die gezielte Gründung und Förderung von Städten und Märkten der Festigung ihrer wirtschaftlichen, militärischen und politischen Macht. Doch auch für die Bürger bot das Leben in den neuen Städten unschätzbare Vorteile: Sicherheit der Person, Schutz des Eigentums, Freiheit des Handels – und deshalb lautet ein bis heute populäres Motto: „Stadtluft macht frei!“.

 

Interessanter Ausstellungskatalog


Stadt Befreit. Wittelsbacher Gründerstädte

Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2020

Hsg.: Haus der Bayerischen Geschichte (P. Wolf, E. Brockhoff, R. Fischer, S. Schormair, M. Veronesi), Augsburg 2020, 304 S., ca. 200 farbige Abb., 24 € (im HdBG-Online-Shop) bzw. fest gebunden im Buchhandel, 29,95 €

 

 

 

 Wer historisch interessiert ist, aber keine Gelegenheit mehr hat, die Ausstellung(en) anzusehen, sollte sich unbedingt den informativen, gut aufgemachten Katalog besorgen. Dort werden nämlich nicht nur die höchst vielseitigen kostbaren Exponate zur Gründungsgeschichte bayerischer Städte beschrieben, sondern es gibt zudem von Experten verfasste weiterführende Essays.

 
 
Das Katalogbuch zur Bayerischen Landesausstellung  richtet sich an ein breites Publikum. Es geht um die Zeit des Spätmittelalters, in der dank der Wittelsbacher urbanes Leben in neuen Städten und Märkten in relativ kurzer Zeit aufblühte und sich das Alltagsleben komplett veränderte.  Die Wittelsbacher unterhielten ihre Stammburg in Oberwittelsbach, nahe Aichach, und nutzte Städtegründungen als Machtinstrument um zu einem der bedeutenden Herrschergeschlechter Europas aufzusteigen, dem z.B. auch König Ludwig I. oder König Otto von Griechenland angehörten.

 

250 Seiten prallvoll mit Informationen

 

Einen guten ersten Überblick im Buch gibt die Einleitung vom Chef des HdBG, Richard Loibl, „Stadt befreit – wie und warum es dazu kam“, illustriert durch instruktive Fotos von Stadtmodellen.

 

Der rund zwei Drittel des Buches umfassende Katalogteil beginnt dann 1180 mit dem Kapitel „Der Bischof und die Stadt“. Geschildert wird die Ausgangssituation: Klöster, Burgen, Märkte und Bischofssitze bestimmten das Geschehen ehe um die Jahrhundertwende eine wirtschaftliche und sozialen Revolution einsetzte und der Handel begann eine größere Rolle zu spielen. 1156-1180 bestimmten zwei Personen die Politik: Kaiser Friedrich Barbarossa und der Welfe, Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern. Des Kaisers treuester Gefolgsmann in Italien war Otto von Wittelsbach. Es kam zum Streit zwischen Staufern und Welfen und 1180 entmachtete der Kaiser Heinrich den Löwen und setzte den getreuen Wittelsbacher als neuen Herzog von Bayern ein.

 

In Kapitel 2 des Katalogs – „Gründerfieber 1200-1350“ – geht es um die „urbane Revolution“ in Altbayern, als Städte wie Pilze aus dem Boden schossen. Ausstellungsstücke befassen sich mit dem Städtebau und archäologischen Funden, die Rückschlüsse auf Mauern, Grundrisse, Brücken, Werkzeuge oder Wasserversorgung zulassen.

 

 


In Teil 3 , „Wie die Städte in die Höhe wuchsen. 1350-1500“, füllen sich die Städte, eine neue städtische/bürgerliche Kultur entsteht, neue Stadtviertel und Einrichtungen kommen auf, große Bürgerhäuser werden gebaut. Nach 1300 wird die schützende Steinmauer zum Hauptmerkmal einer Stadt. Erst mit dem Ausbruch der Pest 1458 wird erstmals das Bevölkerungswachstum gebremst. Fundstücke wie Wappensteine, Stadttorschlüssel oder Hellebarden illustrieren die historischen Geschehnisse. Die zunehmende Bedeutung des Handwerks belegen Truhen, Teller, Bestecke, Becher, und Dokumente wie ein Matrikelbuch der Uni Ingolstadt (1472–1547), Stiftungsbriefe oder Spitalgründungen belegen das Aufblühen der Städte.


„Die Zierden des Landes 1500-2020“, das letzte Katalogkapitel, zeigt, wie die neuen Städte sich zu Herzogssitzen und Verwaltungszentren entwickelt hatten, so z.B. München, Ingolstadt oder Landshut als Residenzstädte der Wittelsbacher. Ab Mitte des 16. Jh. stehen dann auch mehr bildliche Zeugnisse – wie Stadtansichten und -modelle – zur Verfügung.

 

Weiterführend ...

Den zweiten großen Teil des Buches machen Essays aus, von Experten geschrieben und ideal zum Vertiefen in die Materie. Es geht ausführlich um den Aufstieg der Wittelsbacher, um ihre Städtepolitik  und Stadtgründungen im 13. und 14. Jh. am Beispiel von Castra Regina (Regensburg), Landshut, Straubing, Deggendorf oder Dingolfing.

 


Attraktivität und Grenzen städtischen Lebens in den 1150er- bis 1250er-Jahren, Städte und Märkte im Wittelsbacher Land, die Archäologie und Architektur mittelalterlicher Stadtgründungen, und nicht zuletzt das Leben der Bürger und die Bedeutung von Stadtrecht, sozusagen ein Ausblick in die Zukunft, sind weitere interessante Themen. Wer noch mehr erfahren will, der findet im Anhang zudem eine ausführliche Literaturliste.

 

Infos: https://wittelsbacherland.de/bayerische-landesausstellung-2020

Text & Fotos: © MB/PK