Ta-Nehisi Coates, Der Wassertänzer

Ta-Nehisi Coates, Der Wassertänzer.

 

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben 

Originaltitel: The Water Dancer, Penguin Random House LLC

Hardcover mit Schutzumschlag, 544 Seiten

ISBN: 978-3-89667-658-0

Karl Blessing Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition, März 2020

Buchcover Foto ©Verlag

 

2015 veröffentlichte der amerikanische Journalist Ta-Nehisi Coates, 1975 in Baltimore/Maryland geboren, das Buch „Zwischen mir und der Welt“ (Between the World and Me) und in diesem erklärte er den Rassismus zum zentralen Element der amerikanischen Gesellschaft. In seinem folgenden Essay „We Were Eight Years In Power. Eine amerikanische Tragödie“ (2017) arbeitete Coates klar die Unterschiede zwischen Donald Trump und Barack Obama, zwischen Weiß und Schwarz, heraus. 

 

Die Themen Rassismus und »White Supremacy« beschäftigen den heute in New York lebenden Autor auch in »Der Wassertänzer«, seinem ersten Roman. Um diesen besser verstehen zu können, muss man wissen, dass Coates auch Texte für Comics und Pulp Fiction verfasst, u.a. war er für Marvels schwarzen Superhelden "Black Panther"  verantwortlich, einen Prinzen aus dem hoch entwickelten afrikanischen Königreich Wakanda, das unsichtbar unter einer Art Glasglocke liegt.

 

Underground Railroad und Harriet Tubman

Wie Coates in Maryland aufgewachsen, ist auch Harriet Tubman (1820-1913), die charismatische Kämpferin gegen die Sklaverei und Triebfeder der Underground Railroad im 19. Jahrhundert. Sie spielt eine Hauptrolle in Coates Roman, der in der Zeit der Sklaverei, also vor dem Bürgerkrieg 1861-65, großteils auf einer Tabakplantage in Virginia namens Lockless spielt.  Hauptfigur ist Hiram Walker, ein junger Sklave mit  besonderer Begabung, der seiner Gefangenschaft entkommt und sich der Underground Railroad anschließt. 

 


Die Mutter des in der Sklaverei geborenen Jungen, Rose, war verkauft worden, der Vater, Howell Walker, ist der Plantagenbesitzer höchstpersönlich, weswegen Hiram auch hellerhäutig ist als die anderen auf der Plantage arbeitenden Schwarzen und sich auch manchmal ein klein wenig privilegiert führt. Er lebt im  »Labyrinth«, wie die Sklavenquartiere genannt werden, bei seiner Ersatzmutter Thena, und arbeitet als Teil der »Task«, als Hauspersonal, nicht auf dem Feld. 

 

Obwohl er intelligent und mit fotografischem Gedächtnis ausgestattet ist, weswegen er zeitweise sogar Unterricht bekommt, wird sein eher einfältiger weißer Halbbruder Maynard stets vorgezogen. Auf diesen muss er später auf Geheiß des Vaters »aufpassen«, d.h. er wird zu dessen Diener, kann aber sein Ertrinken, verursacht durch den Übermut des Stiefbruders, nicht verhindern. Als er sich in Sophia, die in »Liebesdiensten« des Bruders des Plantagenbesitzers, Nathaniel Walker steht, verliebt und plant, mit ihr zu fliehen, täuscht er sich in einem von ihm geschätzten Freigelassenen, Georgie Parks, wird verraten und gefangengenommen.

 

 

Soweit der erste, »realistische« Teil des Buches, in dem es um den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung geht, um Ungerechtigkeiten und weiße Arroganz, allerdings kommt es, anders als in vielen Romanen zum gleichen Thema, nicht zu grausamen Prügelszenen oder detailreich geschilderten Hetzjagden. Der politische Essayist Ta-Nehisi Coates differenziert subtil zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern, Herren und Sklaven.

 

Telepatische Kräfte und der Gang übers Wasser

Danach wird es »fantastischer«, Hiriam entwickelt sich zum Held mit Superkräften, was dem Spannungsbogen des Romans keinen Abbruch tut, lediglich eine andere Wendung gibt. Nach seiner Zeit in Gefangenschaft, getrennt von seiner Liebsten, gepeinigt von Schmerz, Verlust und Leid, findet sich Hiram auf der benachbarten Plantage Bryceton von Corinne Quinn, der vormaligen Geliebten des Stiefbruders Maynard und einer nun vorgeblich engen Vertrauten des Vaters wieder, die ihn zum Teil ihres heimlich betriebenen Netzwerks Underground Railroad macht. Bis er ins »freie« Philadelphia, eine weitere wichtige Station des Hilfsnetzes, kommt, ist er Rädchen im Getriebe der von Quinn streng und unerbittlich geführten Organisation.

 

Erst in Philadelphia spürt Walker bei Raymond und Otha White und deren Familie erstmals Zuneigung, Liebe und Zusammengehörigkeitsgefühl. Er schätzt seinen ehemaligen Lehrer und Underground-Agenten Mr. Fields/Micajah Bland, der jedoch bei einer Fluchthilfe umkommt. Er trifft auch erstmals (Grandma) »Moses«, wie Harriet Tubman genannt wird, deren telepatischen Fähigkeit er mit ihr teilt: über Wasser gehen zu können wenn es ihm gelingt, zu „tiefsitzenden Erinnerungen“ vorzudringen. Mit dieser „Power of Conduction"  ist es ihm möglich, Schwarze aus dem Süden in den Norden zu bringen, statt sie „Natchez-way“ ins Verderben zu schicken. Tubman (Foto unten, Wikimedia Commons) ist hochangesehen unter ihren Gefolgschaftsleuten und Hiram hilft ihr in einer »Privataktion«, Familienangehörige aus der Sklaverei zu befreien.

Sieg für die Gerechtigkeit

Später kehrt Hiram im Dienste der Organisation auf die väterliche Plantage zurück und ist nun überzeugt, für den Frieden und die Freiheit der Sklaven kämpfen zu müssen. Ziel ist vor allem, Sofia, inzwischen mit Tochter Caroline, und Thena zu »retten«. Die Plantage des immer schwächer werdenden Vaters befindet sich im Verfall und wird am Schluss des Romans, nach seinem Tod, zu einer weiteren Underground-Railroad-Station von Corinne Quinn.

 

Zugegeben, ich habe den Roman in der englischen Ausgabe gelesen, wo lediglich sonst eher unübliche Begriffe wie »Task« (zusammenfassend, jene Sklaven, denen eine konkrete Aufgabe, meist im Haus zukommt, im Unterschied zu anderen, die von Sonnenauf- bis -untergang auf den Feldern arbeiten mussten), zunächst etwas seltsam anmuteten. Es gibt die »privileged«, die Besitzenden, und die »ordinary«, man könnte sagen die tumben Rednecks. In der deutschen Übersetzung hat man versucht, Dialekt und Slang, nachzuahmen, was jedoch immer ein schwieriges Unterfangen ist. Die Sprache wirkt dadurch sehr modern, man meidet das Wort »Sklave« und benutzt politisch überkorrekt den Begriff »Verpflichtete«.

 

Es ist ein sehr emotionaler, poetischer, teils fantastisch-spirituell anmutender Roman über die Zeiten der Sklaverei, über den Underground und den Kampf von Sklaven für die Freiheit. Der Schreibstil von Coates ist dynamisch, farbig und wortgewaltig. Anhand einer Vielzahl an Nebencharakteren mit unterschiedlichsten Leidensgeschichten unternimmt der Autor eine schonungslos ehrliche Bestandsaufnahme des Schreckens der Sklaverei und des Rassismus, stellt Fragen der Ethik und Moral und bietet höchst spannenden (und informativen) Lesestoff.

 

Therese Anne Fowler, Z. A novel of Zelda Fitzgerald


Therese Anne Fowler, Z

A novel of Zelda Fitzgerald

ISBN-10 : 9781250028662

ISBN-13 : 978-1250028662

Taschenbuch : 400 Seiten

Hsg.: Macmillan USA 2013

Sprache: Englisch

 

Dieser unterhaltsame, temporeiche und zum Nachdenken anregende Roman ist bisher (leider) nicht auf Deutsch erschienen. Er spielt in einer anderen Zeit, in den Roaring Twenties, den turbulenten 1920er-Jahren in New York City, aber auch in Frankreich, und seine Bühne ist die intellektuelle „High Society“. 

 

Jeder kennt Francis Scott Key Fitzgerald (1896–1940) und sein Erfolgswerk "The Great Gatsby" (Der große Gatsby, 1925), der 2013 mit Leonardo DiCaprio verfilmt wurde. Der hierzulande weniger bekannte erste Roman des amerikanischen Schriftstellers  hieß "This Side of Paradise" (Diesseits vom Paradies) und diesen hat Fitzgerald 23-jährig, Ende März 1920, veröffentlicht. Er machte ihn innerhalb kurzer Zeit berühmt, geriet dann jedoch in den 1930ern in Vergessenheit und wurde erst später wiederentdeckt.

 

Vom Großen Gatsby zu Zelda

In dem Roman „Z“ von Therese Anne Fowler, um den es hier gehen soll, steht jedoch nicht der Autor, sondern seine Frau Zelda Sayre – „Z“ steht für Zelda – im Vordergrund. Wie im Great Gatsby geht es auch hier um Themen wie Dekadenz, Ausschweifungen und soziale Umbrüche vor dem Hintergrund der „Roaring Twenties“, um Wirtschaftswachstum und Prohibition.

 

Zelda war weit weniger bekannt als ihr berühmter Mann, dabei war sie die treibende Kraft in der Partnerschaft. Sie war seine schillernde, temperamentvolle, stets Aufsehen erregende, aber auch energische Lebenspartnerin, die es intellektuell wie künstlerisch leicht mit ihm aufnehmen konnte. Sie war zudem seine Lektorin und Beraterin.

 

Fitzgerald hatte es als junger Armee-Lieutenant im ersten Weltkrieg 1918 nach Montgomery/Alabama verschlagen, wo er das Herz einer aufrührerischen Southern Belle aus konservativer Familie namens Zelda Sayre eroberte. Nach seinem ersten Bucherfolg „entführte“ er die 19-Jährige nach New York City und heiratete sie 1920 in der  St. Patrick's Cathedral. Von da an wurde wild gefeiert und getrunken, erst in New York, dann in Frankreich, wo Scott an seinem nächsten Roman arbeitete.

 


Leben und Feiern in den Roaring Twenties

„Sometimes“, so F. Scott Fitzgerald, „I don't know whether Zelda and I are real or whether we are characters from one of my own novels“. Es ist eine ganz besondere Love (& Hate) Story, die in den turbulenten Zwanziger Jahren spielt, in denen der Jazz aufblühte und der Frauentyp der „Flapper“ aufkam – unkonventionelle junge Damen, die kurzen Bob und kurze Röcke trugen und voll ins Gesellschaftsleben eintauchten. Es war die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, als Normalität einkehrte und Errungenschaften wie Auto, Telefon, Radio oder Kino das Leben wieder lebenswert machten. Industrie und Wirtschaft blühten auf und Kultur und Lebenskunst erhielten neuen Stellenwert. Erst der Wall Street Crash 1929 beendete die Blütezeit und ließ die Great Depression folgen.


Die Fitzgeralds verkehrten in der High Society, in New York, Paris und an der Cote d’Azur. Man traf sich im Sommer mit Picasso, Cole Porter, Gertrude Stein, Alice B. Toklas, Ezra Pound und Jean Cocteau, feierte und knüpfte Kontakte. Scott Fitzgerald pflegte eine enge Freundschaft mit Hemingway (Foto rechts), den Zelda wiederum nicht leiden konnte (und vice versa). Zelda war nicht nur eine exzentrische Schönheit, sondern auch selbst eine kreative, Frau, literarisch und künstlerisch begabt und vor allem eine vielversprechende Tänzerin. Allerdings wurde sie im Verlaufe ihrer turbulenten Ehe, aus der eine Tochter hervorging, mehr und mehr zur missverstandenen, unterdrückten Partnerin, deren eigener Roman niedergemacht wird und die sich ihrem geltungssüchtigen, immer zweifelnden, gefühlskalten und alkoholsüchtigen Gemahl beugen musste. 

Anfänglich ist im Roman die Stimmung heiter und ausgelassen, alkoholselig und ausschweifend, sie wird aber im Laufe der Partnerschaft und der beruflichen und charakterlichen Entwicklung von F. Scott Fitzgerald immer melancholischer und düsterer. Vor allem Zeldas Leben verändert sich, sie wird depressiv. Von junger, stürmischer Liebe ist bald keine Spur mehr da, an ihre Stelle treten Unterdrückung, Bosheiten, Seitensprünge, Alkoholsucht und Krankheit.

 

Von Frauenpower noch keine Spur

Das Buch ist eine lebhafte Beschreibungen der damaligen Gesellschaft, von Glanz und Glamor, Oberflächlichkeit und Exzessen. Es zeigt aber auch die geringe Wertschätzung und die Unterdrückung von Frauen in dieser Zeit. Letztendlich scheitert Zelda daran, sich aus dem „Zwangskorsett“ zu befreien und selbst zu verwirklichen. Das Ende steht im Zeichen von Alkoholismus bei F. Scott Fitzgerald und einer psychischen Erkrankung, wohl schwere Depressionen, bei Zelda. Ab 1930 wird sie immer wieder, teils gegen ihren Willen, in psychiatrische Kliniken eingewiesen und häufig falsch behandelt bzw. sogar misshandelt.

 

F. Scott Fitzgerald starb 1940 im Alter von nur 44 Jahren in der Überzeugung, sein Lebensziel verfehlt zu haben, nämlich sich als bedeutender Autor seiner Zeit zu beweisen. Zelda kam 48-jährig, 1948, beim Brand eines Hospitals um, in dem sie sich wieder einmal zur Genesung aufhielt. Die Tochter, die bezeichnenderweise nach dem Autor benannt wurde, Frances Scott Fitzgerald (1921–1986), wurde Journalistin, Autorin und prominentes Mitglied der Demokratischen Partei.

 

Hinweis: Unter dem Titel Z: The Beginning of Everything“ zeichnet eine US-amerikanische Fernsehserie, die es bei Amazon Prime Video zu sehen gibt, das Leben von Zelda nach.

 

© Text/Fotos: MB-PK