Philipp Meyer, Der erste Sohn

Philipp Meyer, Der erste Sohn
608 Seiten, aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog,
gebunden mit Schutzumschlag,
Knaus-Verlag 2014, 24,99 €,
ISBN: 978-3-8135-0479-8
www.randomhouse.de/knaus
@Fotos Buchcover Verlag

„… Texas ist beglückend, verärgernd, gewalttätig, bezaubernd, grausam, herrlich – kurzum: voller Leben.“ Edna Ferber (1885-1968) charakterisierte in ihrem Epos „Giant“ (1952, dtsch.: Giganten, 1954, Neuaufl. 2005), der eine texanische Rancher-Dynastie zum Thema hat, den ungewöhnlichsten der 50 US-Bundesstaaten vortrefflich. Allein die Ausmaße – Deutschland passt fast zweimal hinein –, doch auch die komplexe Geschichte machen Texas selbst für Einheimische zum Unikum. Neben Ferber beispielsweise haben auch Larry McMurtry („Lonesome Dove“), Cormac McCarthy („Blood Meridian“, „All the Pretty Horses“) oder der weniger bekannte Americo Paredes („George Washington Gomez“) Texas thematisiert. 
In diese illustre Gruppe reiht sich Philipp Meyer mit dem hier vorgestellten packenden Epos über den amerikanischen Westen. ein.

Moderner amerikanischer Klassiker
Bereits kurz nach Erscheinen von „The Son“ 2013 in den USA, folgte 2014 die von Hans M. Herzog vorzüglich übersetzte deutsche Ausgabe „Der erste Sohn“ im Knaus-Verlag (Random House), als „moderner amerikanischer Klassiker“ gefeiert. Meyers Roman setzt zugleich die Reihe moderner Western - im Stile von McMurtry oder McCarthy - fort. Auch Thomas Berger ("Little Big Man"), Oakley Hall ("Warlock"), James Carlos Blake ("In the Rogue Blood") oder Elmore Leonard ("Last Stand at Saber River") sind Vertreter dieses Genres.

Obwohl der 1974 in Baltimore/Maryland geborene Philipp Meyer die Schule vorzeitig verließ und sich zunächst mit diversen Jobs über Wasser hielt, entschloss er sich mit 20 zu einem Literaturstudium an der Cornell University (Ithaca/NY). Nach dem Abschluss arbeitete er als Broker an der Wall Street und begann zu schreiben. Ein Stipendium ermöglichte ihm den Aufenthalt an der University of Texas in Austin (Foto), wo er seinen ersten Roman „American Rust“ (dt. „Rost“) begann. Dieses Buch ließ Meyer über Nacht zu einem der hoffnungsvollsten amerikanischen Nachwuchsautoren werden. Mit seinem zweiten Werk, „Der erste Sohn“, stellte der heute in der texanischen Hauptstadt Austin und in New York City lebende Autor erneut sein Talent unter Beweis.



Texanische Familiensaga aus verschiedenen Perspektiven
Zitate aus Edward Gibbons historischem Meisterwerk „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“ aus dem späten 18. Jahrhundert stehen nicht zufällig am Anfang des Romans: Auf über 600 Seiten schildert Meyer am Beispiel der Familie McCullough das Auf und Ab verschiedener Kulturen seit der texanischen Unabhängigkeit 1836. „Der erste Sohn“ ist eine Geschichte über die Eroberung des amerikanischen Westens ebenso wie über den Kampf um Land, Öl und Macht sowie den Konflikt zwischen Vater und Sohn.


Meyer erzählt die Familien- und Texas-Saga aus der Sicht von drei Personen: Da ist der Clangründer Eli McCullough, am Tag der texanischen Unabhängigkeit 1836 geboren, von Comanche-Indianern geraubt und selbst zum „Wilden“ geworden. Nach Ende des „Comanche Empire“, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wandelte sich Eli zum „Colonel“, der skrupellos, getreu dem Motto seines Comanche-Ziehvaters – „Reich wird man nur durch Diebstahl“ – ein Rinder- und Ölimperium aufbaute.


Peter, der Sohn des Colonels, wird dagegen als schwach und vom Vater ungeliebt geschildert. Er bringt die Rolle der „Tejanos“, der Nachfahren der einst das Land besitzenden Mexikaner, zur Sprache. Und Peter verfügt, anders als sein Vater, über Moral. Dennoch verlässt er die Familie und flieht vor der Verantwortung und dem Familienclan zu seiner mexikanischen Geliebten nach Guadalajara
.


Die dritte Hauptperson schlägt schließlich den Bogen zum 21. Jahrhundert: Die 1926 geborene Jeanne Anne, Ur-Enkelin des Colonels, ebenso ehrgeizig und skrupellos wie dieser, hatte einst die Ranch und das Ölunternehmen geleitet. Nun verbringt sie ihre letzten Jahre einsam in der Familienvilla. Meyer gibt hier erstmals den sturen, konservativ-republikanischen Matronen, die bis heute den Westen mitprägen, eine Stimme.

Auch wer Western oder historische Romane nicht zu seiner Lieblingslektüre zählt, wird schnell von diesem Epos gefesselt werden. Meyer schildert virtuos eine Geschichte voller unkonventioneller Liebe und verbotenem Sex, aggressiven Konflikten und roher Gewalt, skrupellosem Machtmissbrauch und konstanter Korruption.
„Der erste Sohn“ ist ein packendes Epos über den amerikanischen Westen und seine sich wandelnden Kulturen und zugleich ein historischer Roman, der stets eine klare Distanz zur Vergangenheit wahrt. Unbedingt empfehlenswerter Lesestoff!

Gary Shteyngart, Willkommen in Lake Success


Gary Shteyngart, Willkommen in Lake Success
Penguin Verlag – Random House, 2019
aus dem Englischen von Ingo Herzke, Hardcover mit Schutzumschlag
432 Seiten, ISBN: 978-3-328-60069-5, 24 Euro.
Buchcover ©Penguin/Random House

Es ist eine Roadtrip-Story, fast im Sinne Kerouacs, inklusive Sex, Drugs and Rock’n’Roll, und es ist eine Gesellschaftssatire, die ein wenig an Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ erinnert. „Willkommen in Lake Success“ ist die Geschichte eines abgestürzten und skrupellosen Fonds-Managers auf Selbstfindungsreise durch die USA im Jahr der Präsidentschaftswahlen 2016, die sich wie ein roter Faden durch den Roman ziehen. Auf der Fahrt im Greyhound-Bus wird Hauptakteur Barry Cohen erstmals mit der realen Welt konfrontiert, stößt auf die Schicht der weniger Vermögenden, die sich weder Privatjet, noch Flugticket leisten können. Ein unglücklicher, narzisstischer Multimillionär, der sich selbst für einen inspirierten Philanthropen hält, macht sich auf die Suche nach „Authentizität“, umgeben von wertvollen Uhren und ausgestattet mit unverbindlichen „Freundschaftssätzen“.

Aus der High Society in die reelle Welt

Die ersten 100 Seiten hat man damit zu tun, sich in den Roman hineinzufinden. Die Art, wie diese Geschichte erzählt wird, vor allem die Charaktere sind alles andere als alltäglich. Die Welt der berüchtigten oberen 0,1 Prozent der New Yorker, die in Upper Manhattan mehrere hundert Quadratmeter große Wohnungen bewohnen, Heerscharen von Personal unterhalten und mit Millionen jonglieren, ist keine gewöhnliche. Dabei wurde Barry Cohen als Sohn eines jüdischen Poolreinigers in der Bronx geboren und ist ohne Mutter aufgewachsen. Er hat die typische amerikanische „Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär“-Karriere hingelegt: Studium in Princeton, Karriere als Fondsmanager mit einem geschätzten Vermögen von $ 60-135 Millionen. Verheiratet ist er mit einer indischen Frau namens Seema, die schön, intelligent und dazu Rechtsanwältin ist. Mit ihr hat er einen Sohn, den dreijährigen Shiva, der Autist ist.


Seine "Unzulänglichkeiten" sind ein Anlass für Cohen, auszubrechen, dazu ist die US-Börsenaufsicht hinter ihm her, wegen dubioser Pharmazie-Aktien, und auch seine eigene Hedgefonds-Firma ist am Abnippeln. Trost bietet lediglich seine exklusive Armbanduhrensammlung, die er im Trolley mit in den Greyhound-Bus nimmt, den er eines Morgens nach Streit mit seiner Frau und dem Kindermädchen betrunken und blutend besteigt. Das Ziel seiner Reise ist El Paso, wo seine College-Liebe Layla lebt. Nach 20 Jahren träumt er davon, die ehemalige Beziehung wieder aufleben zu lassen. Die „Great American Novel“ nimmt ihren Lauf: Barry wirft bald Kreditkarten und Mobilphone weg und lernt im Bus und an Haltepunkten den „Bodensatz“ der Gesellschaft und allerhand skurrile Gestalten kennen.

Über mehrere abenteuerliche Zwischenstationen gelangt er schließlich nach El Paso und steht er bei Layla, der inzwischen coolen Professorin, vor der Tür. Barry freundet sich mit deren Sohn Jonah an, der sich zwar als Nerd erweist, der Kartographie und Züge liebt, mit dem Barry jedoch gut zurechtkommt und ihm sogar Schwimmen beibringt. Auch Layla kommt er allmählich näher, doch die Sehnsucht nach der heilen Welt endet dann doch nach einigen Wochen wieder am Busbahnhof. In Phoenix ist sein Rollkoffer mit den Uhren verschwunden, Barry sitzt mittellos auf der Straße, bettelt und verhökert Crack um eine Busfahrkarte kaufen zu können.

Wechselnde Perspektiven
Im Roman wechseln sich die Kapitel über Barry und Seema ab. Während Barry im Bus unterwegs ist, beginnt die mit einem zweiten Kind schwangere Seema (das sie später aus Angst, dass es wieder autistisch sein könnte, abtreibt), ein Verhältnis mit ihrem Nachbarn Luis. Sie treffen sich heimlich in Hotels – ein Ausbruch aus der schwierigen Welt mit Shiva, der umgeben ist von Therapeuten u. a. Fachpersonal. Seema fährt zu Eltern nach Ohio und klärt sie über die Krankheit des Enkels auf. Bald darauf ziehen diese zu Seema nach NYC und dem Vater gelingt durch einfache Menschlichkeit statt wissenschaftlicher Therapien eine positive Verwandlung Shivas.

Dann ein Zeitsprung: Barry zurück in Downtown NYC. Er sitzt in einem kargen, trostlosen Raum der Börsenaufsicht, Seema hatte Barry beim FBI verraten. Doch zum Erstaunen des Lesers verläuft die ganze Sache glimpflich und Barry quartiert sich im luxuriösen Mandarin Oriental in New York ein. Als er sich eines Tages im Central Park mit Seema trifft, scheint die alte Liebe wieder aufzuflackern. Barry versucht Shiva das Schwimmen beizubringen, doch dieser knallt mit dem Kopf gegen den Beckenrand und kommt ins Krankenhaus. Seema lässt sich schließlich scheiden, Barry zieht in die Zweitwohnung nach Rhinebeck und vereinsamt. Seema lernt Zameer aus Bombay kennen, heiratet ihn wenig später und bekommt ein zweites Kind.
Barry legt zwar erfolgreich neue Fonds auf und kümmert sich zunächst um seine wieder wachsende Uhrensammlung – um sie später komplett zu verkaufen – doch eine Beziehung einzugehen gelingt ihm nicht mehr. Bei der Bar-Mizwa seines Sohnes schließlich, die Barry ausrichtet, kommt es quasi zur finalen Aussöhnung. Shiva nennt ihn schmeichelhaft seinen „Vogel-Vater“ und Seemas Eltern zeigen sich ebenso versöhnlich wie seine Ex-Frau. Am Ende repariert Barry höchstselbst jene Uhr – eine alte Universal Tri-Compax –, die mit ihm auf der Busreise war, um sie seinem Sohn zu geben. Ein Kreis schließt sich.

Gary Shteyngart wurde 1972 in Leningrad geboren und kam 1979 USA. „Willkommen in Lake Success“ ist der vierte Roman des New Yorker Kultautors, er wurde mehrfach zu einem der besten Bücher des Jahres 2018 gekürt und von HBO als Serie verfilmt. Der Titel leitet sich übrigens von einem Ort auf Long Island namens „Lake Success“ ab, von dem Barry Cohen besessen ist.

Alexander von Humbold

Walter Lack, Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung Amerikas
Prestel-Verlag (München); Prachtband, 280 Seiten, 142 farbige Abbildungen, 82 Farbtafeln; ISBN: 978-3-7913-8414-6, 49,95 €

Ottmar Ette & Julia Maier, Alexander von Humboldt – Bilder-Welten. Die Zeichnungen aus den Amerikanischen Reisetagebüchern
Prestel-Verlag (München). Prachtband im Schmuckschuber, gebunden, mit Lesebändchen, 736 Seiten, 600 farbige Abbildungen; ISBN: 978-3-7913-8312-5, 148 €.

Coverfotos und Tagebuch-Ausschnitt © Prestel Verlag






Als am 19. Mai 1804 Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt (1769–1859) am Ende seiner amerikanischen Forschungsreise in Philadelphia erstmals nordamerikanischen Boden betrat, hatte eine für die damals noch jungen USA wegweisende Expedition gerade begonnen: Wenige Tage zuvor, am 14. Mai, war das sog. Corps of Discovery von St. Louis in Richtung Nordwesten aufgebrochen. Die beiden Offiziere Meriwether Lewis und William Clark sollten mit ihrem Expeditionscorps nicht nur das 1803 vom französischen Kaiser Napoleon erworbene bis dato weitgehend unbekannte Land westlich des Mississippi in Besitz nehmen, sondern zugleich im Auftrag des damaligen US-Präsidenten Thomas Jefferson das Land erforschen und dokumentieren.

„Brüder im Geiste“
Humboldt hatte ursprünglich keinen längeren Aufenthalt in Amerika geplant, doch in US-Präsident Thomas Jefferson fand er einen „Bruder im Geiste“. So blieb der Deutsche nicht nur bis Anfang Juli in den USA, er war zudem drei Wochen lang Gast des Präsidenten in Washington D.C. und auf dessen Wohnsitz in Monticello im nahen Bundesstaat Virginia (Foto). Man wäre gerne dabei gewesen, wenn sich der Universalforscher Humboldt und der Privatgelehrte und Mitbegründer der modernen Demokratie Jefferson stundenlang unterhalten haben. „Mit ganzer Hingabe“ hätte Jefferson Humboldts Ausführungen über seine von 1799 bis 1804 dauernde Amerikareise zugehört – so berichtet beispielsweise Jeffersons Sekretär William A. Burwell. Und auch Humboldt muss von Jefferson begeistert gewesen sein, schließlich korrespondierten beide bis zu dessen Tod, 1826, und tauschten sich über naturwissenschaftliche Themen, Geografie und Tagespolitik aus.

Humboldt und die Entdeckung Amerikas
Alexander von Humboldt ist der wohl universellste Forscher, den die Wissenschaft bis heute hervorgebracht hat. Dass er ungeachtet seiner vielen Interessen jede einzelne Studie mit akribischer Sachkenntnis durchgeführt hat, beweist nicht zuletzt sein Beitrag zur Erfassung der lateinamerikanischen Pflanzenwelt. Rechtzeitig zum Jubiläumsjahr, anlässlich seines 250. Geburtstags im Jahr 2019, legte der Prestel-Verlag München zwei Bücher vor: einmal einen großformatigen Prachtband mit den besten botanischen Illustrationen aus Humboldts eindrucksvoller Sammlung, zum anderen einen Prachtband im Schmuckschuber, der erstmals alle Zeichnungen und Skizzen aus Humboldts Tagebüchern von seiner großen Amerikaexpedition versammelt.

Ausgewählt und kommentiert hat ersteren – »Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung Amerikas« – der international renommierte Botaniker H. Walter Lack. Für den zweiten – »Alexander von Humboldt – Bilder-Welten. Die Zeichnungen aus den Amerikanischen Reisetagebüchern« – zeichnen Ottmar Ette, Professor für Romanistik an der Universität Potsdam, und Julia Maier, Kunsthistorikerin und Romanistin, verantwortlich. Beide Bände ergänzen sich hervorragend und sind nicht nur für historisch oder botanisch interessierte Leser purer Lesegenuss bzw. ein schönes Geschenk.

Humboldt, der Botaniker


1799 brach Alexander von Humboldt zusammen mit dem französischen Botaniker und Arzt Aimé Bonpland nach Südamerika auf. Als erste Europäer kam er nicht als Eroberer, sondern als Wissenschaftler. Der Band weist neben 82 großformatigen, farbigen Pflanzentafeln mit kurzen Beschreibungen – u. a. kommen Hypericum (Johanniskraut), Rosa canina (Hundsrose) und Dahlia (Dahlie) vor – einen informativen Einleitungsteil auf. Darin geht es nicht nur um den Forscher und seinen Begleiter, sondern auch die komplizierte Veröffentlichungsgeschichte der botanischen Ergebnisse. Eine Bibliografie und ein Register komplettieren den Prachtband, bei dem es sich um eine aktualisierte Neuauflage eines 2009 erschienenen Buches handelt. Herausragend ist dabei die hervorragende Qualität der reproduzierten Bildtafeln, die jeden Pflanzenfreund begeistern werden. Der Band gewährt Einblick in den Pflanzenkosmos des amerikanischen Kontinents und belegt zudem die Bedeutung des Ausnahme-Wissenschaftlers Humboldt für die Botanik. Herausgeber H. Walter Lack ist Professor an der FU Berlin, war Direktor am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin-Dahlem und zugleich Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte der Botanik.

Humboldts Bilder-Welten
Seinen unbändigen Enthusiasmus und die oft abenteuerlichen Umstände, unter denen Humboldt Pflanzen sammelte, spiegeln die Reisenotizen wider, die sich noch heute wie ein Abenteuerroman lesen. Auf der Forschungsreise von 1799 bis 1804 durch den Norden Südamerikas sowie Mittelamerika entstanden zahlreiche Tagebücher und die Zeichnungen und Skizzen aus diesen zeigt der zweite vom Prestel-Verlag herausgegebene Prachtband. Fast 4.000 Seiten Papier hatte Humboldt mit detaillierten schriftlichen Ausführungen sowie Hunderten von Zeichnungen gefüllt, sie reichten von Tier- und Pflanzenskizzen bis zu geometrischen Studien. Nach Sachgebieten geordnet und mit Kommentaren sowie Tagebuchauszügen versehen, werden die Illustrationen im Originalformat in Faksimile-Qualität abgebildet.



Betreut hat den mit über 700 Seiten schwergewichtigen Band der Humboldt-Kenner Ottmar Ette, Professor für Romanistik an der Universität Potsdam. Er leitete auch das Forschungsprojekt zur Auswertung von Humboldts Amerikanischen Reisetagebüchern. Eine kurze Einleitung von Ette befasst sich mit der Reise Humboldts und seinen Reisetagebüchern und zeigt den Wissenschaftler als Kosmopoliten und Netzwerker. Julia Maier, Kunsthistorikerin und Romanistin, die über die Zeichnungen in Humboldts Amerikanischen Reisetagebüchern promovierte, erklärt in einer editorischen Notiz anschließend die Vorgehensweise bei der Publikation. Der Nutzen des Bandes liegt in der überlegten Strukturierung der Materialfülle, was besonders der zukünftigen Forschung entgegenkommen dürfte.

Wie beim ersten Band ist die Reproduktion vorzüglich, meist wurden die Seiten originalgroß abgebildet, sorgfältig transkribiert bzw. übersetzt und kommentiert. Am Ende wurden von den etwa 4000 Seiten der Tagebücher fast 450 in diesem Band abgebildet. Nicht nur für „Humboldtianer“ sind beide Bände ein Muss im Bücherregal, auch wer sich ausführlicher mit Amerika beschäftigen möchte, muss auf sie zurückgreifen.

Tara Westover, Befreit. Wie Bildung mir die Welt erschloss.


Tara Westover, Befreit. Wie Bildung mir die Welt erschloss.
Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln, www.kiwi-verlag.de
aus dem amerikanischen Englisch von Eike Schönfeld
ISBN: 978-3-462-05012-7, 2018, 448 Seiten, gebunden 23 €
2019 auch als TB erschienen (12 €).
© Buchcover: Kiwi-Verlag

Es ist ein „Bildungsroman“, weniger im klassischen Sinne als vielmehr im Sinne von Bildung als „Befreiung“. „Befreit“ heißen deshalb auch die ergreifenden Memoiren der amerikanischen Autorin Tara Westover. Wem Deborah Feldman’s „Unorthodox“ gefallen hat, bekommt hier eine in vielen Belangen vergleichbare Lebensgeschichte zu lesen, lediglich aus einer anderen religiösen Ecke.

Ein Schrottplatz als Klassenzimmer
Die Erinnerungen Westovers sind von Gewalt geprägt. Es fließt viel Blut, Wunden werden „weggebetet“, bagatellisiert und ignoriert. Vor allem bei der Arbeit auf dem väterlichen Schrottplatz sind die sieben Geschwister – Tara ist die Jüngste – immer wieder schweren Maschinen oder gefährlichem Handwerkszeug, Achtlosigkeit und Leichtsinn ausgesetzt und tragen häufig Verletzungen davon. Dazu kommen Autounfälle und seelische und körperliche Misshandlungen durch den sadistisch-unberechenbaren Bruder „Shawn“. Vater und Mutter sehen weg.

Es ist weniger eine Geschichte über Mormonen im Allgemeinen als vielmehr ein nüchterner Einblick in eine einzelne patriarchalisch geprägte, fundamentalistische Mormonen-Familie im ländlichen Idaho. Man lebt abgeschieden auf einer Farm am Fuße des Buck Peak, man liest das Book of Mormon und das Alte Testament und wartet ständig auf den Zusammenbruch der Zivilisation, das Ende der Welt. Vater „Gene“ sorgt dafür, dass sich die Familie mit Waffen, Munition, Vorräten und Rucksäcken mit Überlebensausrüstung eindeckt. Zudem werden ein unterirdischer Treibstofftank und ein Luftschutzkeller angelegt um für die Flucht in die Berge gewappnet zu sein.



Tara wächst in dieser von archaischer Gewalt und wenig Feingefühl oder Liebe geprägten Umgebung auf, in der Vater das Gesetz ist. Und ihm ist eine abgrundtiefe Abneigung gegen Behörden und Staat eigen, ebenso verachtet er Bildung. „Unzucht“ aller Art, z. B. eine falsche Rocklänge oder hochgekrempelte Ärmel, werden in der Familie zutiefst verschmäht. Für den Vater sind Ärzte „Teufel“ und Medikamente ein Tabu. Stattdessen kommen Arzneien aus „Gottes Apotheke“ zum Einsatz, homöopathische Präparate. Für die Heilung ist die unterwürfige Mutter „Faye“ zuständig, die in der heimischen Küche als Kräuterfrau wirkt.

Vom ländlichen Idaho ins britische Cambridge

Tara Westover wurde 1986 in Clifton, in der Südostecke Idahos, geboren, in weiter, menschenleerer Landschaft, knappe drei Fahrtstunden nördlich Provo/Utah, wo sich die Brigham Young University (BYU), die Mormonen-Universität (Foto links), befindet. Sie betritt erstmals im Alter von 17 Jahren eine Schulklasse und führt von da an einen beständigen Kampf um Bildung und Abnabelung einerseits und Familienbanden, Verpflichtungen und der Religion andererseits.

Ihr gelingt der Zugangstest zum College und die Aufnahme an der BYU, doch erlebt sie eine Art Kulturschock als sie auf mormonische Zimmergenossinnen trifft, die weitaus liberaler und freizügiger aufgewachsen sind als sie selbst. Sie entwickelt sich Stück für Stück von der unbedarften Schülerin, die im Kunstunterricht fragt, was Holocaust sei und keine Ahnung über Civil Rights oder die sinnvolle Nutzung von Lehrbüchern hat, zur wissbegierigen Studentin. Trotz zahlreicher Rückschläge, Versagensängste und finanziellen Nöte gelingt es ihr, 2008 erst den Bachelor of Arts an der BYU und dann mit Hilfe eines Stipendiums ein Studium im britischen Cambridge 2009 mit einem Master of Philosophy abzuschließen. 2014 promoviert sie in Cambridge in Geschichte, nach einem Gastsemester an der amerikanischen Harvard University.

Debütroman, der für Furore sorgt
Es dauert, bis sie einen Platz in der „neuen Welt“ gefunden hat. Erst spät, nach familiären Intrigen und einem „Segnungsversuch“ des Vaters bricht sie komplett mit ihrem bisherigen Leben und der Familie. Es ist keine Rebellion, sondern um ein langer, schmerzhafter Loslösungsprozess von Heimat, Herkunft und Familie und wohl auch ein bisschen von der Religion. Sie spricht zwar nie schlecht über die Latter-day Saints, wie die Mormonen korrekt heißen, aber sie kritisiert Polygamie und andere Regeln, bricht mit Speise- und Kleidungsvorschriften und Verboten, wie jenem, Ärzte zu konsultieren.

Tara Westovers Eltern, haben die Ausführungen und Anschuldigungen der Tochter als böse Verleumdung zurückgewiesen und präsentieren sich auch heute noch als heile, ganz normale Familie. Man betreibt unter dem Namen „Butterfly Express“ – auch im Internet –, einen profitablen Handel mit Heilölen und Tinkturen. Die Autorin selbst lebt in Großbritannien. „Educated“ – im Februar 2018 in Englisch erschienen, als „Befreit“ im September 2018 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln auf Deutsch, ist ihr erstes Werk.





Daniel C. Schmidt, This is America

Daniel C. Schmidt, This is America. Reisen durch ein Land im Aufbruch.
Klappenbroschur, 252 Seiten
Aufbau Verlag Berlin, 2020
ISBN 978-3-351-03741-3, 18 €
© Cover-Foto: Aufbau Verlag

Schmidts Buch ist ein »Roadtrip durch eine Nation im Wandel«, Reportage, Sachbuch und persönlicher Erfahrungsbericht in Einem. Speziell in den letzten Monaten, forciert durch die Corona-Krise – und damit verbunden mit mehr verfügbarer Zeit für Viele –, vor allem aber durch das unerklärliche bis widerwärtige Verhalten des US-Präsidenten und schließlich durch die Rassenunruhen, sind mehrere Bücher in deutscher Sprache auf den Markt gekommen, die sich mit dem Phänomen Amerika und der Mentalität der Amerikaner befassen. Nicht alle davon zeugen von großer Kennerschaft und Sachverstand, der hier vorgestellte Band von Daniel C. Schmidt, zählt jedoch zu den lesenswerten.

Bei den Ausführungen auf rund 250 Seiten handelt es sich um einen Flickenteppich, ein Mosaik, ein Wimmelbild einer polarisierten Gesellschaft. Aus verschiedensten Perspektiven und anhand höchst unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und Charaktere betrachtet Schmidt Funktionsweise von Gesellschaft und Politik. Er greift signifikante Themen und Beispiele heraus und versucht herauszufinden, was Amerika ausmacht und wie Politik funktioniert. Ergebnis ist eine Analyse des Amerika der letzten Jahre, in die immer wieder die persönliche Sichtweise des Autors, manchmal auch seine etwas weitschweifigen Beobachtungen und Gespräche einfließen.

Wie »ticken« die Amerikaner?
Daniel C. Schmidt (*1984) studierte Politik und Wirtschaft in Manchester und London, ehe er sich für sieben Jahre in Berlin als freier Journalist niederließ. Anfang 2016 zog er in die USA um über den Präsidentschaftswahlkampf für deutsche Medien zu berichten. Seitdem schreibt er von dort als freier Reporter über Politik, Gesellschaft, und Popkultur, u.a. für die Frankfurter Allgemeine, den SPIEGEL, DIE ZEIT, den Tagesspiegel oder die Neue Zürcher Zeitung. Ende 2019 verfasste er »This is America«, ein Buch über seine Zeit in den USA und darüber, wie seiner Meinung nach die Amerikaner »ticken«. Rote Faden ist dabei die Frage, warum sich ein Volk für einen Präsidenten wie Trump entscheiden konnte.

Schmidt reist durch die USA und spricht mit Menschen unterschiedlichster Couleur, er befasst sich mit Immigranten an der Grenze zu Mexiko, mit dem Opium-Problem, mit PTBS unter Kriegsveteranen (auf dem Bild unten Veteranen bei der Steuben Parade in NYC) und mit Rassismus – u.a. am Beispiel der »Dirt-Biker« in Baltimore, die für ein freies Schwarzes Amerika kämpfen. Frauenrechte, Waffenlobby und der Widerstand gegen sie, oder die möglichen demokratischen Vizepräsidentschafts-Kandidaten sind weitere Themen.



Das Buch beginnt mit dem ersten Tag der Präsidentschaftswahl, 2016, Schmidt reist zu Wahlkampfveranstaltungen und erlebt den Sieg Trumps mit. Ein Rückblick auf die Obama-Präsidentschaft und Michelle Obamas Bedeutung – von Republikanern und Weißen abschätzig oft »First Monkey« genannt – führt zum Thema Frauenrechte. Das Kapitel »Schuss-Wechsel« befasst sich mit Waffen und Waffengesetzen in Amerika und beschreibt den Umgang von Schülern mit der Angst. Das 2nd Amendment von 1791 erlaubt grundsätzlich jedem einzelnen Amerikaner, eine Waffe zu besitzen und zu tragen. »Showtime« schildert einen Abend mit Trumps treusten Fans – u.a. den beiden schwarzen Show-Ladies, Aktivistinnen, Bloggerinnen und Social-Media-Stars »Diamond & Silk«, die Trump vergöttern und für ihn Werbung machen.

An der texanisch-mexikanischen Grenze unternimmt Schmidt einen »Seiten-Wechsel«, quert die Grenze ins mexikanische Nuevo Laredo (das Foto zeigt das texanische Grenzdorf Boquillas) und interviewt dort den Bürgermeister. Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) bei Kriegsveteranen sind ein weiteres Thema, das in den USA ebenso gravierend ist wie es ignoriert wird. "Wrestling gegen das Trauma" ist ein Programm, das Schmidt in San Antonio, Texas, kennengelernt hat. Gleichermaßen bedrohlich: die Opiumkrise. In »Zwei Mütter« geht es um die Macht der amerikanischen Pharma-Industrie, die mit teuren Schmerztabletten viele Menschen hochgradig süchtig macht. Babies von opiumabhängigen Müttern stellen ein besonders trauriges Kapitel dar. Ob man den folgenden Text über Elizabeth Warren und Alexandria Ocasio-Cortez aus der Bronx später noch einmal nachlesen wird, ist zu hoffen. Beide gelten als Kandidatinnen für die Vize-Präsidentschaft unter Joe Biden, der ebenfalls en detail betrachtet wird.

Trump, nur ein »Unfall«?
»Trumps Sieg 2016 wirkte wie ein Unfall in einem Amerika, das sich auf der Suche nach einer Post-Obama-Identität hatte blenden lassen«, schreibt Schmidt. Wie groß die Chancen sind, dass dieser »Agent of Chaos« im November wiedergewählt wird, ungeachtet der Anrüchigkeit vieler seiner Geschäfte, trotz seines Verhaltens Frauen und Minoritäten gegenüber, bleibt auch nach der Lektüre des Buches offen. Was die Amerikaner allerdings gar nicht mögen, ist es, wenn der Präsident vom Rest der Welt nicht anerkannt wird. Oder, wie Schmidt es ausdrückt: »Präsidentschaft ist ein amerikanisches Ideal wie apple pie und die USA mag nicht vom Rest der Welt verlacht werden«.


(Fotos: Wandbild in Brooklyn Bushwick (©Bushwick Collective) und Figur auf dem Balkon eines Hauses an der Highline in NY)

Wie Schmidt ebenfalls selbst sagt, können die Geschichten nicht viel mehr liefern als kleine Ausschnitte aus einem riesigen Land. Wie bzw. welcher »Riss durch die Gesellschaft« geht, ist Definitionssache, es ist nicht unbedingt Schwarz-Weiß oder Stadt-Land. Die Situation ist ebenso vielschichtig wie die Gesellschaft selbst. Charakteristisch für die Amerikaner ist zudem ihr eingeschränkterer Blick auf die Welt draußen. Sie kümmern sich vorrangig um ihre eigenen Angelegenheiten und weniger um Weltpolitik, Fox News oder Social Media. Die Familie, der engere Umkreis, Kirche und Gesundheit spielen eine wichtigere Rolle als die Welt und ihre Sorgen. Hingegen überrascht Schmidt die Gastfreundlichkeit der Amerikaner gegenüber Wildfremden und er gibt zu, dass »gemeinsame Ritualausübungen« einen zwar nicht näher bringen, aber das Verständnis für das ewige Experiment »The Idea of America« fördern.

Russel Norman, Comfort Food. Gute-Laune-Küche aus New York.

Russel Norman, Comfort Food. Gute-Laune-Küche aus New York.
ISBN 978-3-7913-8331-6, Prestel Verlag München, 2017, 19,99 €, z.B. bei Amazon
© Buchcover: Prestel Verlag München

Der englische Originaltitel „Spuntino: Comfort Food (New York Style)“ trifft es besser als der deutsche: „Comfort Food. Gute-Laune-Küche aus New York“. Streng genommen, handelt es sich bei diesem im Prestel Verlag 2017 erschienenen Kochbuch, das der ehemalige Literaturlehrer Russel Norman verfasst hat, um ein Kochbuch, das von einem Restaurant-Besitzer, nicht von einem Koch, geschrieben wurde. „Spuntino“ ist eines von Normans Restaurants in London, das sich der italo-amerikanischen Küche verschrieben hat.


Stadtführer und Kochbuch in einem
Das Buch gliedert sich in zwei Oberkategorien: Entdecken (New York) und Genießen (Essen). 120 Rezepte der New Yorker Food-Szene, kreativ, saisonal und relativ unkompliziert, sind hier zusammengestellt – eher Soulfood als Haute Cuisine. Dazu regt dieser Band mit seinen Fotostrecken zum Entdecken unterschiedlicher Neighborhoods von New York wie Meatpacking District (Foto), Little Italy, Chinatown oder Williamsburg an. Stopps auf dem Weg sind z.B. Restaurantklassiker wie Buvette, Katz’s, Birdbath Bakery oder die Mulberry Street Bar.

Nicht nur, was den Inhalt angeht, sondern auch von der Aufmachung her, hebt sich der Band „Comfort Food“ deutlich von anderen Kochbüchern ab. Mit Kartoneinband versehen, ist der Buchrücken nicht beschnitten und verleimt und dadurch auch quer aufklappbar, was bei den Rundgang-Kapiteln und Fotostrecken, die zusätzlich in Braun abgehoben sind, sinnvoll ist. Die Fotos in Sepia sind zwar für die Stadtaufnahmen perfekt, weniger allerdings für die Bilder von den Gerichten.



Breites kulinarisches Spektrum

Kulinarisch wird unterteilt nach Brunch, Spuntini & Toasts, Pizette, Salate, Slider, Fisch- und Fleischgerichte, Desserts und Drinks. Bevor Russel Norman sein Lokal in London eröffnet hat, recherchierten er und seine Küchenchefin intensiv in New York und stellten rasch fest, dass viele amerikanische Gerichte ihren Ursprung in Italien haben. Zudem entdeckten sie in New York viele „old-fashioned“ Läden und „down-to-earth“ Kneipen und Bars.
Es kamen über 100 Rezepte zusammen, die überwiegend auch im „Spuntino“ serviert werden, z. B. Brunch mit vielerlei Gerichten wie Salbei-Chili-Eiern oder genialen Mac & Cheese. Pizette – mit „narrensichere,“ Teigrezept – und Slider im Brioche-Bun (ebenfalls mit Backanleitung) werden in leckeren und ungewöhnlichen Kombinationen z. B. mit Lammhackbällchen, Corned Beef- oder Garnelen, Rinderbacke oder Ochsenschwanz vorgestellt.

Etwas Besonderes sind die „Spuntini“, kleine Häppchen, auch Frittiertes, Toasts und Crostini (wie Klippfisch Toast oder Entenleber & Zwiebel-Marmeladen-Crostini), Croque Monsieur und Pickles, wie sie gerne als Appetizer im Spuntino auf den Tisch kommen. 
Die Salate sind kreativ, v. a. was die Dressings angeht, wenn auch manche Zutaten etwas schwer erhältlich sein dürften, z. B. Klippfisch, Entenschinken oder rosa Tannenzapfen. An Fischrezepten finden sich z. B. Muschelsuppe, Makrele oder Dorade.

Fleisch kommt in Form von Hähnchenschenkeln in Cornflakes, Strozzapreti und Salsiccia, Eisbein und Wirsing, Ochsenschwanz und Rinderbacke auf den Tisch. Desserts (Cantuccini, Lorbeereis oder Bourbon-Brownie) und Drinks – v. a. Klassiker wie Old Fashioned, Martini, Sazerac – bilden schließlich den krönenden Abschluss.



Soulfood-Gerichte wurden hier geschickt an den Zeitgeschmack angepasst. Die Rezepte sind klar nachvollziehbar, Mengenangaben und Zutaten sowie Zubereitungsweise sind genau geschildert. In der Regel wird ein Rezept mit Bild und Text auf einer Doppelseite dargestellt. Ein Glossar ergänzt das knapp 300-seitige Buch sinnvoll. Wer den Band in Händen hält und durchblättert, wird sich sehr danach sehnen, bald wieder in NY auf kulinarische Entdeckungstour gehen zu können.

Edward S. Curtis, Die Indianer Nordamerikas

Edward S. Curtis, Die Indianer Nordamerikas. Die kompletten Portfolios.
Taschen-Verlag 2016
Hardcover, 768 Seiten, 15 €, ISBN 978-3-8365-5053-6
© Foto Buch-Cover: Taschen-Verlag

Die eindrucksvollen Schwarzweißfotos nordamerikanischer Indianer und berühmter indianischer Persönlichkeiten wie Chief Joseph (Foto rechts unten) oder Geronimo kennt fast jeder, doch das monumentale Gesamtwerk und die Person, die dahintersteckt, blieben bis dato weitgehend im Dunklen. Um das Jahr 1900 hatte der amerikanische Fotograf Edward Sheriff Curtis (1868–1952) begonnen, die Geschichte und Kultur von mehr als 80 Indianerstämmen zu dokumentieren. Er bereiste dazu die Region von der Grenze Mexiko im Südwesten bis hinauf zur Beringstraße in Alaska, von Kalifornien bis ins ehemalige Indian Territory Oklahoma.

1907 bis 1930 erschienen 20 Bände mit ausführlichen Texten und Bildern unter dem Titel „The North American Indian“ – eine monumentale Studie über diese dem Untergang geweihte Welt. Die Auflage, die auf qualitativ und handwerklich höchstem Niveau erstellt wurde, war kostspielig und fiel deshalb mit weniger als 300 gedruckten Exemplaren auch sehr klein aus. Ohne die finanzielle Unterstützung von J.P. Morgan, dem damals reichsten Mann der Welt, wäre dieses Unterfangen gar nicht möglich gewesen: $ 75.000 stellte Morgan zur Verfügung und Curtis versprach dafür ursprünglich 500 Exemplare des mehrbändigen Werkes zu drucken und für $ 300 pro Ausgabe zu verkaufen. Am Ende hatten Morgan und sein Sohn rund $ 400.000 investiert, doch es erwies sich als schwierig, das Monumentalwerk an den Mann zu bringen. Den meisten Büchereien, Museen und Privatleuten war es zu teuer, erst recht zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Da half auch die Fürsprache von Curtis’ einflussreichem Freund, US-Präsident Teddy Roosevelt, wenig.

Meilenstein der Dokumentation
Dabei hatte der in Seattle beheimatete und dort als Fotograf berühmt gewordene Curtis ein Werk geschaffen, das als Meilenstein in der Dokumentation der ursprünglichen Lebens- und Denkweise der nordamerikanischen Indianer gilt. Am Ende hatte Curtis über 40.000 Fotos von mehr als 80 indianischen Völkern angefertigt, erste Dokumentarfilme über Indianer gedreht und auf über 10.000 Wachsrollen Lieder und Geschichten der Völker in deren Sprache aufgenommen.
Besonders für die indianischen Völker sind diese Dokumente von unschätzbarem Wert und dienen zudem als Hilfsmittel um die eigene Geschichte, Kultur und Sprache wiederzubeleben.

Curtis wurde immer wieder vorgeworfen worden, Szenen gestellt zu haben um seine Vorstellungen von den »edlen Wilden« umsetzen zu können. Wer sich jedoch genauer mit seinem Leben, seiner akribischen Arbeitsweise und seinen talentierten Mitarbeitern befasst, erhält ein ganz anderes Bild: So lebte der „Shadow Catcher“ – wie er von den Indianern genannt wurde – jahrelang unter verschiedenen Stämmen und gewann deren Vertrauen. Darüber hinaus notierten er und sein Team die Sagen und Mythen und erstellten eigene Sprachlexika verschiedener Stämme.

Die Fotos sind nicht nur eine Dokumentation über Indianer, ihre Tipis und Geräte, ihre Tänze und Riten. Curtis war nicht nur Künstler, sondern auch Chronist traditionellen, indianischen Lebens, das, wie er ahnte, im Begriff war, unwiderruflich zu verschwinden. Wie besessen arbeitete Curtis an der Verwirklichung seines Lebenswerks, worüber seine Ehe in die Brüche ging. Ergebnis war die Enzyklopädie „The North American Indian“ (Die Indianer Nordamerikas) als monumentales Œuvre mit 20 Textbänden und ebenso vielen Portfolios mit insgesamt über 2.000 Aufnahmen.



Handlich im Taschen-Verlag
Dem Taschen-Verlag ist es zu verdanken, dass Curtis’ Werk – ebenso wertvoll als historisches und wissenschaftliches Dokument als fotografisch ein Glanzstück – zu einem Band zusammengefasst seit 2016 einem breiten Publikum zugänglich ist. Es handelt sich um einen Nachdruck der 20 Portfoliobände in einem Band mit über 700 Fotos, in handlichem Format zu günstigem Preis. Das ursprüngliche Konzept, dass die Textbände wie auch die Portfolios einzelnen Völkern zugeordnet waren, wurde übernommen. Vorangestellt ist dem Band ein kurzer Einleitungstext von Hans Christian Adams, und der genügt auch zur Einführung, denn die Bilder sprechen für sich.

Nur eine Handvoll Museen und Kulturinstitutionen besitzt eine komplette Originalausgabe, dafür gibt es jedoch dank der Curtis Library der Northwestern University in Chicago die Möglichkeit, das gesamte Werk in digitalisierter Form im Internet anzusehen: http://curtis.library.northwestern.edu/index.html.