Hillbilly-Elegie von J.D. Vance


J.D. Vance,

Hillbilly-Elegie. Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise

Ullstein Verlag, Berlin 2017
ISBN 9783550050084
Gebunden, 304 Seiten, 22 Euro
Originaltitel: Hillbilly Elegy: A Memoir of a Family and Culture in Crisis (Harper & Row, 2016)

Das 2016 in den USA erschienene Buch »Hillbilly Elegy« ist mehr als ein ein trauriger Lobgesang auf die »Hinterwäldler«: ein Familien- und Erziehungsroman, eine Autobiografie, eine Sozialreportage, ein Sachbuch, und nicht zuletzt eine  Informationsquelle über US-Marines und Eliteuniversitäten. Hauptschauplätze des Buches von J.D. Vance sind Ohio und die Appalachen in Kentucky, ein bewaldetes Mittelgebirge im Osten Nordamerikas, das sich über eine Länge von 2400 km von Neufundland in Kanada bis in den Norden des US-Bundesstaates Alabama erstreckt. Die meisten Menschen, die hier lebten, sind weiß, arm, religiös und einfache Gemüter – bei Bedarf auch gewaltbereit: Hillbillies, Hinterwäldler.

In dem Buch geht um eine gespaltene Gesellschaft, um ein schonungsloses Milieu, die der anfangs 12-Jährige James Donald, kurz »J.D.«, im Gerichtssaal, wo es (wieder mal) um sein Sorgerecht geht, beschreibt. So beginnt das Buch, es endet mit J.D. als strahlender Absolvent der renommierten Yale University Law School.  Erzählt wird – aus der Perspektive dieses jüngsten Sohnes – die Geschichte einer Familie, genauer gesagt, von drei Generationen, bei denen die Großeltern, wie viele andere Arbeits- und Glückssuchende, von Kentucky nach Ohio gezogen sind, um dort den amerikanischen Traum zu realisieren. Sie gelten als »Hillbillies«, sind weiße Fabrikarbeiter, Unterschicht, die in der allmählich niedergehenden Stahlindustrie schuften und dennoch dem Teufelskreis von Armut und Abhängigkeit nur in seltenen Fällen entkommen.

 

Von Kentucky nach Ohio – die »Hill People«

J.D. Vance (geboren 1984) hat seinen Jura-Abschluss in Yale gemacht und ist heute ein erfolgreicher Kapitalmanager und Schriftsteller. Er wuchs in der Industriestadt Middletown, im sog. Rust Belt von Ohio auf, seine Vorfahren stammen aus Jackson, Kentucky, wohin er auch immer wieder zurückkehrt. Die Familiengeschichte beginnt im Nachkriegsamerika, als seine Großeltern – »Mamaw« und »Papaw« – nach Ohio umziehen. Dort beginnt der Großvater in einer Stahlfabrik in Middletown zu arbeiten. Auch am neuen Wohnort bleiben die »Hill People« unter sich. Papaw kauft ein Haus und bemüht sich um den sozialen Aufstieg seiner Familie, zugleich ist er aber Alkoholiker und zu Hause herrschten raue Sitten.

Vances Mutter Beverly ist bei ihrem Highschool-Abschluss, als Zweitbeste ihrer Klasse!, bereits schwanger. J.D. Vance verbringt viel Zeit bei den Großeltern, vor allem bei der Großmutter, da die Mutter eher Drogen und wechselnden Männern zugewandt ist als der Erziehung des Sohnes und seiner älteren Schwester Lindsay. J.D’s leiblicher Vater hatte den Jungen zudem zur Adoption freigegeben. Lindsay kümmert sich neben den Großeltern um J.D., was die Geschwister zu Verbündeten macht gegen die Mutter, die einerseits ihre Kinder bedroht und andererseits um Hilfe bettelt. Beispielsweise um Urinproben, die verhindern sollen, dass sie wieder einmal einen Arbeitsplatz verliert.

Die Großmutter, »Mamaw«, bei der J.D. die letzten Jahre vor seinem High-School-Abschluss verbringt, gibt ihm Halt und bringt ihn nach einigem Auf und Ab auf die richtige Bahn. Trotz guten Highschool-Abschlusses entscheidet sich dann der noch unsichere Junge jedoch, zu den U.S. Marines zu gehen, zur Eliteeinheit des amerikanischen Militärs. Der dortige harte Schliff über vier Jahre gibt seinem Leben Struktur, ist Charakterschulung, verhilft ihm zu Durchsetzungsvermögen und Disziplin, und dazu, endlich an sich selbst zu glauben – Irak-Einsatz und Patriotismus inklusive. Zugleich gibt die Schilderung dieser Zeit dem Leser einen guten Einblick in das Training bei den Marines, das mit unserer Bundeswehr oder selbst mit der Ausbildung in anderen US-Militärabteilungen wenig zu tun hat.

Aufstieg mit Hindernissen

Denselben hohen Informationsgehalt haben übrigens Vances Ausführungen im letzten Buchdrittel über seine Aufnahme und seinen Werdegang an der renommierten Yale University in New Haven/ Connecticut, wo er Jura studiert. Interessant für den Leser: Selbst eine Ivy League-School wie diese, ist mithilfe von Unterstützungsprogrammen und Stipendien bei entsprechender Leistung durchaus auch für Leute der unteren Schichten zugänglich – selbst wenn diese weiterhin Außenseiter bleiben. Denn als solcher fühlt sich Vance stets, wenn er damit hadert, wie gekleidet er zum Interview erscheinen soll oder welches Besteck beim großen Dinner wozu dient.

J.D. erzählt eine Aufsteigergeschichte, allerdings eine mühsame. Am Schluss gelingt es ihm, der Gewalt – physisch wie verbal –, den Unberechenbarkeiten, Umzügen, Wirrungen und Vorbelastungen seiner Familie zu entkommen, wie er sie gegen Ende des Buches mit seiner Freundin und späteren Frau Usha analysiert. Im letzten Viertel des Romans geht es auch um die Schuldfrage, vor allem im Hinblick auf das Scheitern der Mutter, und um Einblicke in die Psyche der Hillbillies. 


Vance verzichtet bei seiner Analyse auf Pathos und Vorurteile und ist der Meinung, dass die Leute selbst an ihrem Schicksal Mitschuld tragen. Mangelnde Bildung, fehlender Ehrgeiz und Unaufgeklärtheit sieht er als Hauptursachen für die Situation der »Ewig-Abgehängten«. So staut sich Frust auf, Pessimismus grassiert und Initiativlosigkeit ist verbreitet. 

Viele Amerikaner sprechen auch von »Rednecks« oder »White Trash« und diese Gesellschaftsgruppe war es auch, die einst Trump gewählt hat. Dementsprechend handelt es sich bei »Hillbilly Elegy« nicht nur um eine Familiengeschichte, sondern auch um eine sozio-ökonomische Analyse, die das Buch in den USA gerade während Trumps Amtszeit zum Bestseller machte. Denn Vance weiß, dass heute „viele europäische Länder den amerikanischen Traum besser verwirklichen als Amerika“.

Inzwischen wurde das Buch von Ron Howard für Netflix verfilmt und 2017 erschien der Roman in der deutschen Übersetzung von Gregor Hens im Ullstein-Verlag.

 

©Text & Fotos: MB