The American West von Ernst Haas - "Malen mit der Kamera"

Ernst Haas. The American West.

Hardcover (engl.), 208 Seiten, 150 farbige Abbildungen, 50 s/w Abbildungen, ISBN: 978-3-7913-8825-0, Prestel Verlag München-London-New York, 2022, 50 €

 

„Malen mit der Kamera“

Ernst Haas wurde 1921 in Wien geboren. Von früh auf förderten seine Eltern, Regierungsbeamte, sein kreatives Talent. Er studierte erst Medizin, dann Fotografie an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien und war zunächst als freier Fotojournalist für Zeitschriften unterwegs. 1946, zu seinem 25. Geburtstag, erwarb er seine erste Kamera, eine Rolleiflex, im Tauschhandel gegen Margarine. Er begann, Kriegsheimkehrer und Invaliden zu fotografieren und wurde mit diesen Bildern bekannt. 1947 verwendete nämlich das American Red Cross in Wien seine Fotos zur Identifizierung bzw. Zusammenführung von Kriegsopfern; später wurden sie in einem Feature des Magazins LIFE veröffentlicht.

 

Die Fotos erregten die Aufmerksamkeit des berühmten Fotografen Robert Capa und er lud Haas in die USA ein, um der neu gegründeter Fotoagentur Magnum beizutreten. Haas ging also 1951 als junger Mann, der kaum Englisch konnte, nach Amerika, froh, den Zwängen der Nachkriegszeit entfliehen zu können. Er lernte neben Capa andere damals berühmte Fotografen wie Werner Bischof oder Henri Cartier-Bresson kennen und fing an mit einer Leica und ersten Farbfilmen zu fotografieren. Seine Bildsprache änderte sich, wurde vielseitiger, malerischer, poetischer und dazu wandte er sich stärker journalistischen Themen – sozialen Zuständen, städtischem Leben oder den Mythen „Indianer“ und „Wilder Westen“ –  zu.

 

Ein Fotograf auf Reisen

1952 trampte Haas für die sechsseitige LIFE-Story „Land of Enchantment“ durch New Mexico. Aufgrund dieser Reise blieb er die nächsten 34 Jahre vom amerikanischen Westen gefangen. Wie er selbst sagte, hatten ihn Autoren wie Jack London oder Zane Grey stark geprägt. Es folgte die Bildstrecke „Images of a Magic City (New York)“ und mit ihr schuf Haas 1953 auf damals neuartigem Kodachrome-Farbfilm ungewöhnliche Impressionen und Reflexionen einer Großstadt. LIFE veröffentlichte die Bilder in einem 24-seitigen Essay – das erste Farbfoto-Feature im Magazin. Auch seine Sportreportage „The Magic of Colours in Motion“ zeigte noch nie zuvor gesehene Aufnahmen mit Bewegungsunschärfen – absichtlich verwackelt, jedoch mit extremen Farbkontrasten.

 

 Auch deshalb gilt Haas als Pionier der Farbfotografie. Er lotete die Möglichkeiten der analogen Farbfotografie sowohl technisch als auch künstlerisch voll aus. Kontraste, Bildaufbau und Belichtungszeiten setzte er gezielt ein und experimentierte viel. Das für den Buchtitel verwendete Foto ist exemplarisch für seine durch Wischeffekte gesteigerte Dynamik bei sonst perfekter Belichtung bis in die Details. Auch klassische Landschaftsaufnahmen mit feinem Gespür für Strukturen, Farben und Kontrasten stammen von Haas, dazu aber auch Detailfotos von Blumen und Felsen, Porträts von Indianern und Bilder von Cowboys.

 



Gemälde oder Fotografie?

Am bekanntesten wurde Haas für seine abstrakten Kompositionen, die eher aufwändig konstruierten Gemälden als Fotografien gleichen. Haas hat das „Malen mit der Kamera“ perfektioniert. Sein bahnbrechender Einsatz von geringer Schärfentiefe und verschwommener Bewegung durch lange Verschlusszeiten verliehen ihm eine Sonderstellung. Zudem war er einer der ersten Fotografen, der sich intensiv mit dem Farbstoffübertragungsprozess beschäftigte. Farbfilme können nämlich anders als SW-Filme nicht nachgearbeitet werden. Jede Aufnahme muss perfekt sein und Haas war ständig auf der Suche nach dem nächsten, noch besseren Foto.

 


 

Der Wiener war ein unabhängiger Geist, der sich ungern Vorschriften machen ließ, aber mit der Werbefotografie seinen Lebensunterhalt bestritt – und durch sie weltberühmt wurde. Werbeaufträge für Chrysler, Mobil, Volkswagen oder Kodak halfen ihm bei der Finanzierung seiner persönlichen Vorlieben, Projekte und Reisen. Vor allem aber wurde er in den 1970ern als Erfinder des „Marlboro Man“ groß – ein Motiv, das bis heute die Werbefotografie beeinflusst. Für Marlboro Man Darrell Winfield schlug Haas auch Drehorte vor, dramatische Landschaften, die einen guten Hintergrund bildeten. Und er war begeistert von Wetterwechseln – „the world is your stage ... the best things are surprises“.

 

Auch als Set-Fotograf bei Filmproduktionen wie „Misfits“ (1960) mit Marilyn Monroe, „Kings of the Sun“ mit Yul Brunner (1963) war Haas dabei. Er produziert 1964 für den Film „Die Bibel“ von John Huston eine Bildstrecke, 1969 war er an dem Klassiker „Little Big Man“ (Montana, 1969) beteiligt. Vor allem dieses Projekt brachte ihn mit Indianern in Kontakt und hatte eine Reihe großartiger unabhängiger Fotos zur Folge.

 

Ausstellungen, Auszeichnungen und Buchprojekte

1960 wurde Haas zum Präsidenten von Magnum gewählt, es folgen viele Reisen, Aufträge und Ausstellungen. Er zog nach New York City um und eröffnete sein erstes Studio auf der East 71st Street; 1965 zog er in die 7th Avenue um. 1962 erhielt er eine Einzelausstellung im MoMA, die erste dort gezeigte Zusammenstellung von Farbfotografien. Edward Steichen, damals Direktor der Fotosammlung, bezeichnet ihn als „free spirit, untrammelled by tradition and theory, who has gone out and found beauty unparalleled in photography“.

 

Anfang der 1970er realisierte er außer den Landschaften für die Marlboro-Serie mehrere Buchprojekte, die sich vorrangig mit Japan und einer zenbuddhistischen und meditativen Bildsprache befassten. Damit konzentrierte er sich zunehmend auf ruhigere Motive. Haas illustrierte Gedichte von Rainer Maria Rilke, veranstaltete Workshops und war bei 1984 den olympischen Sommerspielen in Los Angeles für die Chrysler Company mit dabei. Blumenmotive sollten Hauptteil seines Spätwerks werden. Haas starb unerwartet an einem Schlaganfall 1986; kurz zuvor hatte er noch seine multimediale Bilderschau „Abstracts“ fertiggestellt.

 

„The American West“ bei Prestel

 

Haas arbeitet zu Lebzeiten für LIFE, Vogue und Look, und verfasste vier Bücher: The Creation (1971), In America (1975), In Germany (1976) und Himalayan Pilgrimage (1978). Zahlreiche Ausstellungen fanden posthum statt. Die Bilder in dem bei Prestel neu erschienenen Band „The American West“ rangieren zeitlich zwischen den frühen 1950ern und etwa 1970. Beim ersten Durchsehen fallen vor allem einsame Landschaften, Cowboys und Indianer, manche in Schwarzweiß, die meisten in Farbe, auf. Das Spektrum reicht von „Man on Crutches“ (ein kriegsinvalider Mann) über Porträts von Cocteau, Einstein oder Martin L. King bis hin zu Society-Fotos in Kalifornien, dazu Alltagsszenen und Filmset-Bilder, aber auch Blumendetails und Landschaften.

 

Eine der Leidenschaften von Haas waren Indianer, die er häufig ablichtete, aber auch Cowboys, meist in verschwommener Technik aufgenommen, in weiter Landschaft oder bei Rodeos. Es sind „gemalte“ Bilder, z.B. „Motion Cowboys Rodeo“, ein Bronc Rider. Kontrastierend dazu: gestochen scharfe Landschaftsaufnahmen, beispielsweise vom Canyon de Chelly in Arizona oder vom Monument Valley. Ein Blumendetail vom Grand Canyon, Felswände ganz nah, in allen Farbnuancen, oder tanzende Indianer beim Powwow in Gallup/New Mexico sind weitere Themen, dazu grandiose Wolkenbilder wie „Sky Nevada“ oder „White Sands National Monument“. Ein Bison im Yellowstone Nationalpark im Schneesturm trifft auf einen Indianer auf der Truck-Ladefläche in eine Decke gewickelt („Navajo Nation“, Monument Valley, 1967), dann wieder knallige Aufnahmen von Las Vegas oder sein wohl berühmtestes Bild, von der Route 66, mit Autos, Hochhäusern und Reklameschildern – vibrierend, schnell und gestochen scharf.

 


Haas war ein Virtuose, hat sich mehrfach selbst neu definiert hat und dadurch eine enorme Vielfalt hervorbrachte. Er verwendete nie ein Stativ, setzte auf ein Minimum an Ausrüstung, denn für ihn sollte die „Kamera eine Verlängerung des Auges sein ..., nichts sonst“. Auch Zoom-Linsen lehnte er ab, dafür experimentierte er mit Viewpoints, Zweidimensionalität, Komposition und Fisheye-Linsen um die Ränder verschwimmen zu lassen. Sein Motto war klar: „Es gibt nur dich und deine Kamera. Die Grenzen Ihrer Fotografie liegen bei Ihnen selbst, denn wir sehen, was wir sind.“ Haas wurde er zum Vorbild für viele junge Fotografen, als „Poet with a camera“.

 

Ebenfalls bei Prestel erschienen: Ernst Haas. New York in Color, 1952-1962, ISBN: 978-3-7913-8654-6, 2020.

 

©Text: Margit Brinke, Fotos: PrestelVerlag/GettyImages

NYC Storefronts – gelungenes Design und Anregungen für New-York-Fans

 


Joel Holland (Zeichnungen), David Dodge (Texte)

NYC Storefronts

Die schönsten Läden in New York

ISBN: 978-3-7913-8892-2

Mit einem Vorwort von NIkolas Heller

Hardcover, 192 Seiten, über 200 farbige Abbildungen 

€ 25,00 [D] inkl. MwSt.

Prestel Verlag München 2022

 

NYC Storefronts - natürlich denkt man da sofort an Läden und tatsächlich handelt es sich bei diesem ungewöhnlichen Buch auch um einen „Schaufensterbummel“, aber um einen der besonderen Art! Es ist auch kein Buch im Stil von „Die 100 besten Tipps“, sondern ein wunderschön gestalteter Band zu New Yorker Unternehmen, gezeichnet und mit prägnanten Beschreibungen versehen. Es ist das perfekte Buch zum Immer-Wieder-Selbst-Betrachten oder Verschenken.

 

Mit mehr als 200 Illustrationen hat Joel Holland – ein international anerkannter Illustrator mit Wohnsitz in New York City – seine liebsten Häuserfronten verewigt. Zu Beginn der Corona-Pandemie hatte er begonnen, die Schaufenster seiner Lieblingsgeschäfte und -lokale in der Nähe seiner Wohnung zu zeichnen und auf Instagram zu posten. Er startete mit „Economy Candy“, andere folgten. Hollands Ziel war auch, die Beliebtheit und Bekanntheit der Geschäfte zu fördern, denn viele von ihnen kämpften speziell während der Pandemie und der Lockdowns um ihre Existenz.

Gute Werbung und Hilfe in harten Zeiten

Dazu trug auch Nicolas Heller bei, der als „New York Nico“ vor allem für seinen Instagram-Account @newyorknico bekannt ist. Dort dokumentierte er bereits interessante Persönlichkeiten auf den Straßen Big Apples und erwarb sich den Ruf als „inoffizieller Talentscout von New York City“. Er unterstützte schon mehrmals über seinen Account Läden, die von Schließung, sei es wegen Corona oder wegen Mieterhöhungen, betroffen waren.


Mit der Zeit erweiterte sich Hollands Spektrum und es entstand eine umfassende Sammlung von „Storefronts“ der verschiedensten Art: Buch- und Blumenläden, Diners und Feinkostgeschäfte, Bars und Clubs, Schreibwarenläden und Floristen, Schuhwerkstätten, Reinigungen und Carwash-Garagen, Friseure und Barbershops, Musikläden und Galerien, ein Kino und ein Boxclub, ein Schachladen („Chess Forum“) oder Kuriositäten wie ein Gummi-, ein Ballon- oder ein Glühbirnengeschäft.
 

Hollands Zeichnungen, großteils ausgeführt mit einfachen Pilot 2-Gelschreibern, sind zwar menschenleer, wirken aber heiter und zeitlos. Zu jeder Illustration gibt es einen kurzen Text mit Adressangabe vorweg, der Infos zu Besitzern, zur Geschichte, zu Besonderheiten und manchmal auch Anekdoten liefert und die Neugierde weckt, die Plätze selbst einmal aufzusuchen. Die Beschreibungen stammen von David Dodge, einem ebenfalls bekannten Journalisten. In der Regel erhält jede Location eine eigene Seite, zwischengeschoben gibt es aber einige Doppelseiten mit jeweils vier Fronten und Texten pro Seite in entsprechend kleinerem Format. Manche, dem Zeichner/Autor wohl besonders wichtige Orte, wurden durch farbigen Hintergrund hervorgehoben.

 


Vielfach zeichnete Holland weithin bekannte „Legenden“, wie die Pickle Guys, allerdings finden sich auch einige „versteckte Perlen“. Nicht alle Genannten sind heute noch offen bzw. an derselben Stelle zu finden. Darauf wird zu Anfang auch klar hingewiesen. Für New-York-Kenner teilt sich das Buch in zwei Rubriken: In die „Oldies, but Goodies“, d.h. die Klassiker, und in die „Aha-“ bzw. „Write-it-down-Erlebnisse
.

 

 

Alte Klassiker und wenig bekannte Juwele

Kalustyan’s (123 Lexington Ave.) - Speciality Foods of the World – ist solch ein Klassiker, „Joe’s Pizza“ kennt man aus Spider Man 2, und in der Kategorie Clubs werden z.B. Village Vanguard, Small’s Jazz Club, Blue Note Jazz Club und das Minton’s Playhouse gewürdigt. Julius’ (159 W. 10th St.) rühmt sich, bereits vor dem Stonewall Inn (das ebenfalls abgebildet ist), Anlaufpunkt, Treff und Ort von Protesten der LGBT-Gemeinde gewesen zu sein.

 


 

Russ & Daughters oder Katz’s, Economy Candy oder Yonah Schimmel Knish Bakery, Pearl Diner oder Vesuvio Bakery, Veselka oder Murray’s Bagels sind „kulinarische Klassiker“, die natürlich nicht fehlen dürfen. Weniger bekannt sind hingegen der K.K. Discount Store oder die Gramercy Typewriter Company, wo Tom Hanks Schreibmaschinen gekauft haben soll. Natürlich wurde der Strand Bookstore mit seinen One-Dollar-Carts auf dem Bürgersteig und seinem Rare-book-Room aufgenommen, allerdings auch einige kleine Spezial-Buchläden wie einer für Kochbücher, einer für Krimis, einer für Theaterliteratur oder McNally Jackson für Karten aller Art.

 

The Roost in Alphabeth City scheint ein Spot zu sein, den man sich mal anschauen sollte, ebenso könnte man endlich einen Blick in C.O. Bigelow Pharmacy (414 6th Ave (8/9th St.), die älteste Apotheke der USA, von 1838, werfen. Und auch Pastrami Queen (1125 Lexington Ave.), wo der legendäre Koch und Weltenbummler Antony Bourdain Pastrami-Sandwiches gegessen hat, wird für den nächsten New-York-Besuch gleich notiert. Am Nom Wah Tea Parlor in Chinatown ist man sicher schon mehrmals vorbeigelaufen ohne zu registrieren, dass es sich hier um das älteste kontinuierlich betriebene Restaurant in Chinatown (1920) handelt, und dass neben Dim Sum auch Teespezialitäten serviert werden.

 

Von Militärbedarf bis Restaurantzubehör


Eher etwas kurios wirken in der Serie Institutionen wie die Greenwich Locksmiths, Army & Navy Bags – Militärbedarf in # 77 E. Houston St., das übrigens durch Crowdfounding 2020 gerettet wurde – , Capitol Fishing Tackle Co. (Angelbedarf), Cowboy Shoe Repair oder Casey Rubber Stamps (Gummistempel). „Just Bulbs“ verkauft nur Glühbirnen, bei Chef Restaurant Supply (294 Bowery) bekommt der Hobbykoch das lange benötigte richtige Messer und in der Village Music World (197 Bleecker) findet der Plattenfan die richtige Scheibe. Vielleicht sollte man auch einmal B&H Dairy oder den Lexington Candy Store (1226 Lexington) selbst ausprobieren? In Letztgenanntem gibt es weniger Süßes, als vielmehr typisch amerianische Kost, hier kann man als Gast noch einen der letzten originalen „Lunchenettes“, seit 1925 in Familienbesitz, erleben.


 

Die Anordnung der Lokalitäten erfolgt eher willkürlich, weder nach Genres, noch alphabetisch, und auch nicht geografisch. Man hätte sich vielleicht gewünscht, dass die Spots nach Vierteln angeordnet worden wären – was passagenweise zwar so wirkt, aber dann nur sehr grob zutrifft. Im hinteren Teil des Buches befinden sich dann Karten „Nördlich der 34th St.“, „Zwischen Houston St. und 34th“ (wo sich die meisten Punkte befinden) und „Südlich der Houston St.“, aber diese helfen zur geografischen Verortung nicht wirklich.

 

 

 

 

 

Abgesehen von dieser organisatorischen Kleinigkeit, handelt es sich um ein wirklich gelungenes Buch, das man vor jeder New York-Reise wieder konsultieren kann. Die Zeichnungen sind ein Augenschmaus – detailliert, prägnant, heiter und machen neugierig. Die Anordnung von Text und Bild ist harmonisch, das Design perfekt. Kurzum: Beim Durchblättern wächst der Wunsch, der Sache nachzugehen und Zeichnung und Original, vor Ort, zu vergleichen.

 

© Fotos: Prestel Verlag (Zeichnungen aus dem Buch) bzw. MB (Fotos zur Gegenübertellung).