Pilotin und mutige Frau: Amelia Earnhart


Joe Lendle, Die Himmelsrichtungen

Hardcover, mit Schutzumschlag, 256 Seiten, 13,5x21,5cm

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH München 2024

ISBN: 978-3-328-60379-5

24 €

„Von oben sah das Land aus wie eine von Großmutters Suppen. Seen schwammen in der Gegend wie Fettaugen. Weiße Brocken mochten Felsen sein oder Kartoffeln. Grüne Streifen aus Hecken, aus Schnittlauch. Niemand war da, der mich zurückrief. Zu sehen, wie das Blau in der Höhe allmählich dunkler wurde, versetzte mich in eine Art Rausch.“ (Zitat aus dem Roman)

 

„Solange ich rede, bin ich am Leben. Solange ich fliege. Die letzte Gewissheit, die mir bleibt: Wenn ich niemals lande, werde ich nicht gestorben sein“. Auch diese Worte stammen von Amelia Earhart, jener berühmten Flugpionierin, die 1937 versuchte, die Erde zu umrunden und dabei spurlos verschwand.

 


Vom wilden Kind zur Pilotin und Frauenrechtlerin

Geboren am 24. Juli 1897 in Atchison im US-Bundesstaat Kansas (Geburtshaus li. Foto, ©Kansas Tourism), war Amelia ein wildes Kind. Sie begann nach der Highschool Medizin zu studieren, brach jedoch ab und kehrte zu ihren Eltern nach Los Angeles zurück, um deren zerrüttete Ehe zu retten. 1920 flog sie erstmals in einem Flugzeug und fasste den Entschluss selbst fliegen zu lernen. Viele verschiedene Jobs halfen ihr, die Lizenz zu finanzieren und 1921 nahm sie ihre erste Flugstunde bei der Pilotin Neta Snook (1896-1991). Sechs Monate später kaufte sie sich ihr erstes Flugzeug, eine Zweisitzer-Maschine mit offenem Cockpit, die sie The Canary (Kanarienvogel) nannte und mit der sie kurz darauf einen Höhenweltrekord für Frauen von 4.300 m aufstellte.

 

Im Juni 1928 überquerte sie in 20 Stunden mit einem Flugzeug den Atlantik – und erlangte damit internationale Berühmtheit. Dabei war sie „nur“ die erste Frau, die den Atlantik nonstop als Passagierin überquert hatte: „Ich war nur Gepäck, wie ein Sack Kartoffeln“, sagte sie damals, „vielleicht werde ich es eines Tages allein versuchen.“ Im folgenden Jahr nahm sie am ersten Cleveland Women’s Air Derby (auch „Puderquastenrennen“ genannt) teil, unterstützt vom New Yorker Verleger George Palmer Putnam, den sie später heiratete. Das Rennen missfiel ihr und 1929 gründete Earhart mit vier anderen bekannten Pilotinnen den Club der Ninety Nines, mit dem Ziel, Frauen in der Luftfahrt zu fördern. Heute ist der Club mit mehr als 5000 Mitgliedern die größte Pilotinnenvereinigung mit Sektionen in fast allen Ländern der Welt.

 

Ausstellung im Seattle Museum of Flight ©MB
Earharts letzter Flug

1931 heiratete sie „widerstrebend“ ihren Verehrer, George Putnam unter der sehr modernen Prämisse eine offene Ehe ohne Zwänge zu führen. Im Mai 1932, fünf Jahre nach Charles Lindbergh, überquerte sie als erste Frau den Atlantik im Alleinflug. Von Harbor Grace in Neufundland bis nach Paris war der Plan, doch in ihrer modifizierten Lockheed Vega 5B (heute im National Air & Space Museum in Washington DC zu sehen), „Little Red Bus“ genannt, landete wegen schlechten Wetters und technischer Probleme in Londonderry/Nordirland. Dennoch brachten ihr 15 Stunden in der Luft und 3260 Kilometer Ruhm und Ehre ein, darunter die Goldmedaille der National Geographic Society ein, überreicht vom damaligen US-Präsidenten Herbert Hoover.

 

©Amelia Earhart Hangar Museum Atchison
Am 11. Januar 1935 überflog sie als erster Mensch im Alleinflug den Pazifik zwischen Honolulu und Oakland/CA und im selben Jahr absolvierte sie den ersten Soloflug von Mexico City nach Newark/NY.  Ihr nächstes Ziel war vor ihrem 40. Geburtstag, als erster Mensch, die Erde am Äquator zu umrunden.  1937 saß Earhart selbst am Steuer ihrer „Muriel“, einer Lockheed Modell 10 Electra (Foto links), Navigator war Fred Noonan. Der zweite Start (der erste Versuch war vorzeitig gescheitert) erfolgte am 21. Mai in Miami, man landete in Brasilien, Westafrika, Kalkutta und Rangun. Am 2. Juli hob sie in Neuguinea ab mit geplantem Stopp auf der kleinen Howlandinsel. Dann verliert sich die Spur, das Flugzeug gilt seither als verschollen. Auch eine große von Präsident F.D. Roosevelt und seiner Frau initiierte Suchaktion mit 64 Flugzeugen und acht Kriegsschiffen blieb ergebnislos und Earhart wie Noonan wurden am 5.1.1939 für tot erklärt. Eine Reihe von Hobby-Forschern und Wissenschaftlern suchen seit Jahren Earharts Flugzeug. Inzwischen hat man noch nicht völlig bewiesene Anhaltspunkte gefunden: ein „Sonar-Bild eines flugzeugförmigen Objekts“ ...

Romankomposition à la Bach

 

Jo Lendle (* 1968), der Autor dieses Romans, studierte Literatur, Kulturwissenschaften und Philosophie. Er erzählt die Geschichte aus der Sicht Earharts, einer Heldin, die keine Heldin sein will. Er erzählt die Geschichte rückwärts, vom letzten Tag ihres Lebens bis zur Kindheit. Die Überschriften der einzelnen Kapitel „Ouverture 1937“, „Courante 20./21. April 1933“, „Sarabande 1928 etc.“ oder „Prélude Viel Früher. 1902 und folgende“ legen eine Beziehung zu den französischen Suiten von Johann Sebastian Bach nahe, ein Zyklus von sechs stilisierten instrumentalen Tanzstücken vom Anfang des 18. Jahrhunderts.

 

Wer über Amelia Earhart nicht viel weiß, tut sich zu Anfang etwas schwer mit der Art des Erzählstrangs, der Reihenfolge der Kapitel. Das Buch startet mit ihrer Gegenwart und zeigt die Schwierigkeiten auf, die sie als Frau erlebt. Die Story endet in ihrer Kindheit, wo man mehr über ihre Motivation mit dem Fliegen zu beginnen, erfährt. Es gibt  viele interessante Situationen und Dialoge, hauptsächlich über das Fliegen, über die Stellung von Mann und Frau, über das typische Frauenbild der Zeit und über Gefühle.

 

Porträt einer mutigen, unprätentiösen Frau

©Wikimedia Commons

Die Geschichte wird im Buch von Amelia Earhart selbst erzählt, aus der Ich-Perspektive, basierend auf ihre eigenen Aufzeichnungen. Resultat ist das Porträt einer mutigen, unprätentiösen Frau, die mit einer gewissen Sturheit ihren eigenen Weg ging und letztlich 1937 starb. Gleichzeitig handelt es sich um eine Art Liebesgeschichte mit wechselnden Beteiligten: Zum einen wäre da ihr langjähriger Verehrer und Mentor, der mächtige und reiche Verleger George P. Putnam, zum anderen Eleanore Roosevelt, Ehefrau des Präsidenten F.D. Roosevelt. Im Roman fabuliert Lendle eine emotionale Beziehung zwischen beiden Frauen hinzu, mehr als eine normale Freundschaft, die sich nicht nur auf kleine „Spritztouren“ zum Fliegen während Staatsdiners beschränkte.

Das Buch ist beste Unterhaltung. Es widmet sich dem Leben der Luftfahrtpionierin, Dichterin und feministischen Vorkämpferin Amelia Earhart. Lendle geht so weit, zu behaupten, Earhart habe letztlich das Buch selbst geschrieben. Tatsache ist, dass ein guter Teil des Romans sich auf Amelia Earharts Schriften, Logbücher, Überlieferungen, auf ihre Gedichte und Briefe stützt. Wer mehr optische Anreize benötigt sei auf die Verfilmung von Earharts Leben im Film „Amelia“ (2009) von Mira Nair, mit Hilary Swank als Pilotin und Richard Gere als Ehemann, empfohlen.