Francisco Cantú, No Man’s Land

Francisco Cantú, No Man’s Land. Leben an der mexikanischen Grenze
Carl Hanser Verlag (München 2018)
übersetzt aus dem Amerikanischen von Matthias Fienbork
240 Seiten; ISBN: 978-3-446-26026-9, 22 €
Buchcover © Hanser Verlag, Autorenfoto© Keith Marroquin, Hanser Verlag.

Francisco Cantú war zwischen 2008 bis 2012 als Officer der United States Border Patrol in den Wüstenregionen von Arizona, New Mexiko und Texas auf Grenzpatrouille. Über seine Erlebnisse schrieb er ein Buch, das unter dem Titel „No Man’s Land“ 2018 auch in Deutschland erschienen ist. Es ist der erschütternde Erfahrungsbericht eines Insiders, der die Sinnlosigkeit von Grenzen deutlich macht.

Trump und seine Mauer
„Es ist wichtig zu verstehen,“ meinte Cantú in einem Artikel, den er im Sommer 2018 für die New York Times verfasste, „dass die derzeitige Krise an der Grenze in Wahrheit nur die abscheuliche Verdeutlichung eines jahrzehntelangen Versuchs darstellt, den Ausnahmezustand zu erreichen.“ Für ihn ist der Effekt von Donald Trumps plumper Rhetorik lediglich, dass endlich mehr Menschen aufmerksam geworden sind auf die Situation der Migranten an der südlichen Grenze. Denn „die Militarisierung der Grenze, der Umstand, dass wir die Landschaft regelrecht als Waffe nutzen, … – all das passiert seit Jahrzehnten ohne einen nennenswerten Aufschrei von unseren Politikern, Medien oder unserer Gesellschaft als Ganzes“.




Das Buch von Francisco Cantú ist zur richtigen Zeit erschienen. Diskussionen um die Grenze zu Mexiko waren für die meisten Amerikaner und den Rest der Welt die Ereignisse an der „Border“ sehr weit weg. Cantú (*1985), Enkel eines mexikanischen Einwanderers, hat Politik studiert und wollte am eigenen Leib erfahren, was an der Grenze wirklich abläuft. Deshalb bewarb er sich bei der U.S. Border Patrol – ganz gegen den Willen seiner Mutter, einer ehemaligen Rangerin im Guadalupe Mountains National Park. Doch Cantú war der festen Überzeugung, dass er die Wüste, den Überlebenskampf und die Spannungen zwischen den Kulturen nur verstehen könne, wenn er selbst vor Ort ist.

Auf Grenzpatrouille

So rettete er als Mitglied der Border Patrol einerseits Verdurstende aus der Wüste, deportierte aber andererseits illegale Einwanderer oder erlebte, wie Familien auseinandergerissen und Flüchtlinge erniedrigt wurden. In seiner Reportage zeigt er, was Grenzen für die Menschen wirklich bedeuten. „No Man’s Land“ gleicht einer Tragödie und bildet dennoch die Realität wahrheitsgetreu ab: objektiv, grausam und zutiefst berührend.
 Was Cantú an der amerikanisch-mexikanischen Grenze erlebte, brachte ihn fast um den Verstand, auch als er ins Büro versetzt wurde und die Grenze nur noch am Bildschirm überwachte. Schnell wurde ihm klar, dass Grenzpolizisten keine unerfahrenen Studenten sind wie er selbst, sondern vielfach verbitterte ehemalige Polizisten und Soldaten, denen in der Ausbildung eingetrichtert wurde, sie hätten es an der Grenze mit Banditen der mexikanischen Drogenkartelle zu tun. In Wahrheit sind die Grenzpatrouillen langweilig und am Ende griffen die Officer immer nur verängstigte und hilflose Flüchtlinge auf, die eigentlich überhaupt nicht in das „Terroristenprofil“ passen.

Einerseits schildert Cantú die Ereignisse aus persönlicher Sicht, erzählt von seinen Zweifeln und Alpträumen. Andererseits versucht er anhand von sachlichen, teils sehr akademisch gehaltenen Einschüben die Geschichte, Entwicklung und Ideologie der Grenze zwischen den USA und Mexiko zu erläutern.  Dieser Perspektivenwechsel macht die Lektüre nicht immer einfach, aber hochinteressant. Im letzten Drittel des Buches ändert sich der Ton, wird persönlicher und zieht den Leser tiefer in die herrschende Misere hinein: Nun schildert der Autor das Schicksal seines neuen Freundes José, der seit 30 Jahren in den USA lebt, eine Familie gegründet hat, doch nach dem Besuch seiner sterbenden Mutter in Mexiko nicht mehr in die USA zurückgelassen wird. Ein für die Grenze typisches Schicksal, an dem Cantús Engagement scheitert und seine Hilflosigkeit angesichts der bornierten Bürokratie zutage tritt.

In „No Man’s Land“ geht es um die gleichgültige Brutalität des Systems, um die Ungerechtigkeit der derzeitigen Gesetze und darum, wie eine militarisierte Grenze Familien kaputt und den amerikanischen Mythos von Freiheit und Gleichheit zur Farce macht. Cantú, der heute in Tucson/Arizona lebt, erhielt 2017 dafür den prestigeträchtigen Whiting Award – alljährlich verliehen an die besten Nachwuchsautoren. Der Originaltitel „The Line Becomes a River. Dispatches From the Border“ erschließt sich beim Lesen und dank des Epilogs. Es gibt nämlich durchaus noch offene Grenzabschnitte wie am Rio Grande River in Texas, wo der „kleine Grenzverkehr“ Alltag ist.



WEITERE LESETIPPS

Wer das Thema weiter vertiefen möchte – hier eine Auswahl anderer lesenswerter Bücher:

• Octavio Solis, Retablos. Stories from a Life Lived Along the Border (City Lights Publisher, 2018)

• Luis Alberto Urrea, Across the Wire. Life and Hard Times on the Mexican Border (Anchor Books/Doubleday, 1993)

• Sam Hawken, La Frontera (2013, deutsch: „Kojoten“, Polar-Verlag 2015)



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