Callan Wink, Big Sky Country
Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer
Suhrkamp Verlag Berlin, 2021
Gebunden, 378 Seiten, ISBN: 978-3-518-42983-9, 23 €
Im Original erschienen unter dem Titel "August" (Random House).
„Big Sky Country“ ist der Spitzname des US-Bundesstaates Montana, 1962 als werbewirksamer Slogan vom Montana State Highway Department aufgebracht. Er bezieht sich auf den endlosen Horizont, die gigantische Weite der Landschaft Montanas. In dieser spielt ein guter Teil des Debut-Roman des Amerikaners Callan Wink (*1984), der von Hannes Meyer ins Deutsche übersetzt wurde und kürzlich im Suhrkamp Verlag erschienen ist. Wink ist ein junger, noch nicht allzu bekannter Autor. Er arbeitet im Sommer als Fly Fishing Guide auf dem Yellowstone River in Montana, im Winter lebt, surft und schreibt er im kalifornischen Santa Cruz. 2016 erschien bereits sein Erzählungsband „Dog Run Moon“ ("Der letzte beste Ort").
Fernab von Glitz und Glimmer
Schauplätze des Romans sind das ländliche Michigan und das dünn besiedelte Montana, weit weg von Glitz und Glimmer, von großstädtischem Leben und hoher Kultur. Es handelt sich um einen sog. Bildungs- und Entwicklungsroman oder um eine »coming-of-age story« im ländlichen Amerika, im »Heartland« der USA. Wink begleitet seinen Protagonisten August – so auch der Titel der englischen Originalfassung – über einen Zeitraum von rund 13 Jahren, beginnend Ende der 1990er-Jahre, als er 12 Jahre alt war, bis zu einem Alter von Mitte 20.
Der 12-jährige August, »Augie« genannt, wächst auf einem Milchviehbetrieb in Michigan auf und verbringt seine Zeit vor allem mit Kühemelken, Heumachen, im Geräteschuppen, mit seinen Hunden oder beim Fischen. Auf Geheiß seines Vaters macht er sich daran, die sich übermäßig vermehrenden Katzen auf dem Hof zu töten. Für jeden abgelieferten Schwanz erhält er einen Dollar – so beginnt der Roman. Der Junge soll schließlich hart und ein richtiger Mann werden, dabei ist er in Realität eher ein Träumer mit wenig Emotionen, der lieber abhängt und beobachtend durch die Gegend streift. Konflikten geht er aus dem Weg, er prügelt sich nicht gern.
Während Augie Katzen zur Strecke bringt, bröckelt die Ehe
der Eltern. Vater Darwin – Wink wählt gerne bedeutungsträchtige Namen! –
arbeitet hart und ist bodenständig, während die kettenrauchende Mutter Bonnie
eher verträumt, esoterisch und etwas skurril wirkt. Sie hat „Gedankenwolken“
und geht den Pfad der Selbstvervollkommnung, fühlt sich benachteiligt und
unterfordert. Der Vater nimmt sich die handfeste, zupackende, viel jüngere
„Hilfsarbeiterin“ Lisa zur Geliebten; sie erfüllt eher seine Vorstellungen von
einer Ehefrau. Bonnie ist ausgezogen, ins alte Farmhaus, während Vater und
Freundin das neue Haus bewohnen. Der junge August pendelt zwischen Mutter und
Vater, ist hin- und hergerissen.
Neustart im Big Sky Country Montana
Die eingereichte Scheidung veranlasst die Mutter mit August wegzuziehen, nach Montana – es ist ein langer, emotionsgeladener Roadtrip, der da geschildert wird. Sie findet Arbeit als Bibliothekarin in Livingston und man lebt in einem bescheidenen Haus, einem ehemaligen Bordell. Der Big Sky von Montana soll sie und August „befreien“ und zu sich kommen lassen. Dabei wirkt August zunächst recht antriebslos, er radelt über die endlosen Straßen Montanas und angelt an einsamen Flussufern. Es dauert, bis der schüchterne Junge Freundschaften schließt. Er beginnt American Football zu spielen, was zwar zu seiner Statur passt, wovon er jedoch regelmäßig Kopfweh bekommt. Er bemüht sich redlich, ein richtiger Mann zu werden und geht eine kurze Affäre mit einer älteren Nachbarin namens Julie ein, die zugleich enge Freundin der Mutter ist.
Nachdem diese Liebschaft jäh endet, zieht er P.B.R (Papst Blue Ribbon) und Pickup Trucks den Frauen und anderen Vergnügungen vor. Jungengespräche mit Bier und Whiskey am Lagerfeuer, die er gelegentlich mitmacht, sind fortan die einzige Abwechslung – neben den Telefongesprächen mit dem Vater (und später auch mit der Mutter), die sich wie ein roter Faden durch den Roman ziehen. Es sind triviale Gespräche, vor allem über das Wetter und die Landwirtschaft, übers Essen und den Fortschritt mit den Frauen. Der Vater versucht ihn immer wieder zu überzeugen, zurückzukehren, gibt vor, Hilfe zu brauchen und versteht nicht, wieso August für andere arbeitet, statt die eigene Farm zu übernehmen.
August wirkt unsicher und abgeklärt zugleich, jung und alt, dumm und klug. Er hängt am Landleben, liebt Natur und Landschaft, tut aber den ganzen Roman über wenig Signifikantes. Nach Beendigung der Highschool ist er unentschlossen, beobachtet, wie mehr und mehr seiner Freunde sich an einem College einschreiben oder sich in Folge der Anschläge des 11. September anwerben lassen und in den Krieg ziehen, nach Afghanistan, um den islamistischen Terror zu bekämpfen.
Schlüsselerlebnis mit Folgen
In Teil 2 des Buches kommt dann ein Freund Augusts, Ramsey, in eben diesem Krieg ums Leben, und wird als Held gefeiert. In seinem Angedenken findet eine Feier, oder eher ein Saufgelage, statt, dass mit einer Massenvergewaltigung endet, ein Schlüsselereignis für August, der weder aktiv daran beteiligt war, noch versucht hat, das Geschehene zu verhindern. Dabei hätte er gerne mit der Betroffenen, June, Freundschaft geschlossen. Der Drahtzieher der Aktion macht August das Leben schwer, doch dieser setzt sich ausnahmsweise einmal durch, beschließt aber nach der Begegnung, abzuhauen.
Er packt seine Sachen und landet auf der Virostok Ranch bei Ancient und Kim – sehr gegensätzlichen Charakteren. Diese abgelegene Ranch liegt in der Nähe einer Hutterer-Gemeinde, einer religiösen Gruppe, die hier mit allerhand Mythen und Verschwörungstheorien in Verbindung gebracht wird. Tim Duncan wird Augusts neuer Freund, mit ihm zieht er nach hartem Arbeitstag durch Bars, besucht Rodeos und lernt auf dessen Geheiß widerwillig das Tanzen und die Regeln im Umgang mit Frauen. Als ein anderer Cowboy ihm seine Freundin Maya ausspannen will, prügelt er sich mit ihm, doch ansonsten prägen Lethargie, Alkohol, harte Arbeit mit Ancient auf der Ranch, und Begegnungen mit ein paar skurrilen männlichen Gestalten den Alltag. August ist genügsam.
Der letzte, dritte Teil beginnt mit einem Arbeitsunfall auf der Ranch, nach dem August zwei Finger amputiert werden müssen. Er kehrt zur Mutter zurück, die inzwischen vor einer neuerlichen Heirat steht. Tim kommt ihn besuchen und schenkt ihm zwei Hunde – der Kreis zum Kind »Augie« schließt sich – und August rechnet in einer Art Showdown mit dem Anstifter des damaligen Verbrechens an June ab. Am Ende erfährt er, dass der Vater die Farm verkauft hat, um mit der schwangeren Lisa nach Traverse City zu ziehen. In der Abschlussszene nimmt August den alten Pickup und fährt weg, fast wie im Film, während die Eltern ihre beiden Stühle wieder näher aneinander rücken.
Unspektakulär, aber aussagekräftig
Insgesamt verläuft Augusts Leben ziemlich unspektakulär und ist der Roman höchst unaufgeregt. Wer auf Action und Spannung steht, kann auf Winks Roman verzichten. Es geht langsam voran, wobei das Erzähltalent von Callan Wink unumstritten ist. Seine Prosa lässt das Gras im Wind rhythmisch wogen und zeichnet Landschaftsbilder mit Wolken, Wind und Weite. Das Landleben wird mit Kühen und frisch gemolkene Milch, Maschinen und Motoröl zum Ereignis. Die ganze Geschichte zeichneten sich durch ihre Belanglosigkeit aus, durch emotionale Distanz und das Fehlen von Nostalgie oder Sentimentalität. Alles fließt dahin und im Zentrum steht der unaufgeregte Blick auf das Leben eines heranwachsenden Jungen zunächst auf einer Milchfarm in Michigan und dann in den Weiten Montanas.
© Text: MB
© Fotos: MB mit Ausnahme der Montana-Landschaft oben, © Montana Office of Tourism
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