Besuch im Metropolitan Museum


Patrick Bringley, All die Schönheit dieser Welt. 

Wie mir die Kunst dabei half, meine Trauer zu überwinden.

Verlag Allegria (Ullstein Buchverlage), Okt. 2023

320 Seiten Hardcover mit Schutzumschlag, 24,99 €, ISBN 9783793424321

Originaltitel: The Day Watchman - A Guard`s Search for Solace and Meaning at the Metropolitan Museum of Art. .Aus dem Amerikanischen von Jochen Winter.

 

 „The Met“, wie das Metropolitan Museum in New York City kurz genannt wird, ist ein Museum der Superlativen, ein weltweit einzigartiger Musentempel, die größte Kunstsammlung der westlichen Welt. 1870 hat eine Gruppe amerikanischer Geschäftsleute und Intellektueller die Sammlung ins Leben gerufen und ab 1880 entstand der zentrale Kernbau, bis heute das einzige größere Gebäude und Museum innerhalb des Central Park, mit repräsentativer Beaux-Arts-Fassade. 1926 war der Komplex fertig, im Laufe der Zeit wurde mehrfach um- und angebaut um die 36.000 Stücke aus der ganzen Welt, die rund 5000 Jahre Geschichte abdecken, unterzubringen. Sie verteilen sich auf insgesamt ca. 185.000 qm, auf vier Hauptetagen und 19 Abteilungen – z.B. American Wing, Asian Art, Arms & Armor, Egyptian Art oder Greek & Roman.

 


Es gibt hier alles. Bauten, wie der sehenswerte ägyptische Tempel der Dendur aus augusteischer Zeit, wurden komplett rekonstruiert. Ausgestellt sind aber auch bedeutende historische Gemälde wie das berühmte Porträt George Washingtons von Gilbert Stuart oder Emanuel Leutzes’ Gemälde „Washington Crossing the Delaware“, die auch den Autor begeistern. Außer Kunstwerken befinden sich im Met Waffen, Drucke, Fotos, Musikinstrumente, Möbel, Kostüme oder kuriose Stücke wie mehr als 200.000 Baseball-Sammelkarten.

 

Heilung im Museum

Patrick Bringley, vormals Journalist beim New Yorker, entschied sich nach dem Krebstod seines älteren, nur 26 Jahre alten Bruders, sein früheres Leben hinter sich zu lassen und bewarb sich als Museumswärter im Metropolitan Museum of Art. Er wird genommen und bleibt zehn Jahre. In dieser langen Zeit beobachtet er Tag für Tag die vielen Besucher des berühmten Museums einerseits, die Kunstwerke andererseits, und überwindet so seine innere Leere. Vor allem das Studium der Kunstwerke gibt ihm neuen Mut, durch den er allmählich seine Trauer bewältigt.

 

Große Eingangshalle des Museums mit Ticketverkauf

Bringley ist ein ruhiger Beobachter und gibt zugleich interessante Einblicke hinter die Kulissen eines der größten Museen der Welt. Er beschreibt wie die Rädchen in diesem Riesenmuseum ineinandergreifen, welche Rolle die Wärter (und andere) dabei spielen, wie die Schichten und Hierarchien ablaufen. Alles geht seinen Gang, jeder muss auf den anderen vertrauen können. Keine Missgunst, kein Neid, schlicht Toleranz und Nebeneinander unter den Wärtern. Diese sind gerne übersehene Figuren in schlecht sitzenden, dunkelblauen Anzügen, die lediglich nach WCs oder dem Standort der (natürlich nicht hier befindlichen) „Mona Lisa“ gefragt werden. Dabei überwachen sie mit Adleraugen die Kunstwerke und die Millionen von Besuchern pro Jahr. Stehen und Schuhverschleiß sieht Bringley zu Anfang als Problem, Wärter präferieren daher auch bestimmte Abteilungen wegen der Böden. Dafür steht dem Wärter fast das ganze Labyrinth an Gängen und Sälen, Räumen und Nischen offen, sogar an Montagen, wenn das Museum geschlossen ist und vor allem Kuratoren und Handwerker unterwegs sind.

 

Das Buch ist eine Museumschronik und ein Kunstführer, in dem es ausführlich um Sammlungen und Kunstwerke geht. Patrick Bringley geht durch die ihm als Wärter immer wieder neu zugeteilten Bereiche, macht sich vertraut und kürt seine Lieblingsstücke. Er hält „Zwiesprache“ mit den Objekten und lernt innezuhalten. Es ist ein abwechslungsreicher Job, zumal die Gruppe der Museumswärter  (männlich und weiblich) alles andere als homogen ist: Es ist ein Sammelsurium aus Künstlern, Musikern, einfachen Arbeitern, Immigranten, Aussteigern und Träumern, und ganz verschiedenen Schicksale, Geschichten, Ethnien und Einstellungen treffen hier aufeinander. Der Autor schließt Freundschaften und beginnt sich in der Museums-Welt wohl zu fühlen. Mehr und mehr schöpft er Kraft aus Kunstwerken, fängt an, sich Lieblingswerke in bestimmten Abteilungen zu notieren und Besucher zum Denken anzuregen und seine Euphorie weiterzugeben.

Alles im Fluss statt großer Action

Der Autor ist ein Neugieriger, ein Suchender, und das kommt in diesem Roman gut heraus. Es gibt keine „Action“, keine Super-Highlights, eher fließt die Schilderung über Ereignisse, Entdeckungen und Kunstschätze einfach so dahin. Dennoch: Man wird angeregt, das eine oder andere Kunstwerk dann doch nachzuschlagen. Dafür stellt der Autor auf über 30 Seiten am Ende des Buches seine Lieblingswerke vor, darunter z.B. der New Yorker Kouros im Bild rechts, mit Datierung und Inventarnummer sowie Anleitung, wie man die Werke im Museum bzw. unter www.metmuseum.org  (anhand der Nummer unter „Art“, „The Met Collection“) selbst finden kann. Ganz am Schluss gibt es dann noch eine ausführliche Bibliografie zu einzelnen Gattungen/Themenkreisen.

 

Heute lebt Bringley mit  Frau und Kindern in Sunset Park, Brooklyn, und bietet regelmäßig Stadt- und Museumsführungen, v.a. im Rahmen von Bowery Boys Walks an. „Whitman and Melville’s New York by Foot and Ferry“ ist eine weitere beliebte Tour mit Bringley. Er veranstaltet Lesungen und Diskussionen in Museen und Bibliotheken und genießt den Ruhm, den ihm sein erstes Buch,  All the Beauty in the World“, eingebracht hat. Es ist kein aufsehenshascherisches Buch, aber jeder Fan des Metropolitan Museums, jeder Museums- und Kunstfan überhaupt, sollte es gelesen  und vielleicht sogar als anregendes Nachschlagewerk in der eigenen Bibliothek haben.


• Infos: www.patrickbringley.com

Coverfoto: ©Verlag Allegria/Ullstein, übrige Fotos: ©Margit Brinke

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