Deborah Feldman, Unorthodox

Deborah Feldman, Unorthodox
Aus dem amerikanischen Englisch von Christian Ruzicska.
2016 im Secession Verlag für Literatur, Zürich, Hardcover-Erstveröffentlichung auf Deutsch. Cover©Verlag
2017 als TB im btb Verlag erschienen, ISBN: 9783905951790, 10 €



„UnORTHODOX“ – mit rotem „Un“ und durchgestrichenem ORTHODOX – ist ein fesselnder Roman, den man nur ungern aus der Hand legt, der innerlich aufrührt. Die gut 300 Seiten lesen sich lebendig, es fehlt weder an Witz noch an Tiefsinn und Hintergrund.


Deborah Feldman wurde 1986 in Brooklyn, als Mitglied einer ultraorthodox-jüdischen Satmarer-Gemeinde, geboren. Die Wurzeln dieser besonders weltabgewandten, isoliert-lebenden jüdischen Gruppe liegen im früheren Ungarn und heutigen Rumänien. Als ihr geistiger Führer gilt Joel Teitelbaum (1886-1979). Nach dem 2. Weltkrieg entstand die Gemeinde neu in New York City, genauer im Brooklyner Stadtviertel Williamsburg. Sie gehören zur großen Gruppe der strenggläubigen Chassidim, der „Frommen“. Während die bekannteste und größte chassidische Gemeinschaft der Gegenwart die etwas weltoffenere Lubawitscher Gemeinde ist, die v.a. in Crown Heights/Brooklyn zu Hause ist, zählen die Satmarer zu den strengsten. Sie sehen beispielsweise den Holocaust als eine von Gott verhängte Strafe dafür, dass die Juden sich assimiliert hätten. Um die Wiederholung der Shoa – die Vernichtung – in Zukunft zu vermeiden, führen sie ein Leben nach Gesetzen wie sie in den Schtetln von Osteuropa vor Jahrhunderten aufgestellt worden waren.

Strenggläubige Gemeinschaft

Der Roman „Unorthodox“ erschien 2012 in den USA und der autobiografische Bericht erklomm sofort die Bestsellerliste der New York Times und verkaufte sich millionenfach. Der Erfolg des Erstlingswerks von Deborah Feldman hängt mit der Ehrlichkeit und Lebensnähe der Schilderung, aber auch mit der literarischen Qualität und dem Informationsgehalt zusammen. Es gibt mehrere rote Fäden in diesem Roman: Literatur und Bücher (letztere mussten versteckt werden), Sex (darüber wissen alle Beteiligten, männlich wie weiblich, so gut wie nichts), das Verhältnis zwischen Mann und Frau (Unterwerfung bis zur Unsichtbarkeit) und die Bedeutung von Rabbis, Ritualen (links ein Foto vom Laubhüttenfest) und Vorschriften, die sich von Speisegesetzen (koscher) über die Rocklänge bis hin zu den fruchtbaren Tagen der Frau erstrecken.

Männer in schwarzen Mänteln, mit Schläfenlocken unter riesigen Pelzkappen, jiddisch sprechend, Mädchen und Frauen, die rasch die Straßenseite wechseln, wenn sie ihnen begegnen. Männer, die feiern und in der Shul die heiligen Bücher lesen, und Frauen in knielangen, dunklen Röcken, die kochen, putzen und bedienen, berufstätig sind und Heerscharen von Kindern groß ziehen – so wächst Deborah Feldmann im Haushalt ihrer Satmar-Großeltern auf, bei „Bubbe“ und „Zeidi“. Oberste Autorität ist der Rabbiner und die von ihm (oft individuell) ausgelegten Gesetze. Die Frau hat sich dem Mann unterzuordnen, da sie unfähig ist eigenständig zu denken. Daher gehen Mädchen auch nur wenige Jahre zur Schule. Beide Geschlechter leben bei den Satmar-Chassiden in getrennten Welten, der Kontakt zur Außenwelt ist aufs Notwendigste beschränkt, es gibt weder Fernsehen noch Internet und weltliche Bücher gelten als schädlich; für Frauen sind sogar die heiligen Bücher ein Tabu.

Unorthodoxe Loslösung
Feldman hat es gewagt, ihre jüdische Gemeinde in Williamsburg zu „verunglimpfen“ – so ihre Gegner – indem sie die Zustände, die Gesellschaft und die Regeln dort beschrieb. Sie hat ihren Alltag von Kindheit an hinterfragt, las heimlich verbotene „weltliche Bücher“. Sie genoss ihre größeren Freiheiten als Lehrerin, bis sie mit 17 „verkuppelt“ wurde und ihr Leidensweg mit Ehemann beginnt. Eine Privatsphäre gibt es nicht und Sexualität ist ein Tabu. Man weiß nichts und kennt seinen eigenen Körper nicht, trotz „Hochzeitsvorbereitungskurs“.

Sie schafft es in kleinen Schritten sich von ihrem sexgeilen und eher feigen, wankelmütigen Ehemann Eli zu emanzipieren. Sie macht den Führerschein, erwirkt den Umzug in eine liberalere Gemeinde im Norden New Yorks, beginnt heimlich ein Literaturstudium und trägt am Ende das Haar unbedeckt und kleidet sich „weltlich“ in Jeans und T-Shirt. Durch ihr Studium und unterstützt von Freunden – v.a. aber nach einem Unfall – kommt es letztlich zur kompletten Abnabelung. 2009 packt Feldman ihre wenigen Habseligkeiten und ihren dreijährigen Sohn ins klapprige Auto und taucht im Moloch New York unter, setzt die Scheidung durch und erstreitet das Sorgerecht.

Kurz nach ihrem 23. Geburtstag verlässt Feldman Williamsburg, New York, und damit das alte Leben, wird zur erfolgreichen Autorin und lebt heute in Berlin-Kreuzberg. In ihrem zweiten Buch nach "Unorthodox", »Überbitten« (2018) schildert sie, wie sie den europäischen Spuren ihrer geliebten Großmutter, die den Holocaust überlebt hat, folgt und in Berlin einen neuen Anfang wagt.







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