Michael Klein, Mark Twain in Bayern. Erzählungen, Reiseberichte, Briefe

Michael Klein (Hsg.), Mark Twain in Bayern. Erzählungen, Reiseberichte, Briefe
Allitera Verlag München 2016
ISBN: 978-3-86906-826-8), 228 S., Paperback, 16,90 €
© Foto Buchcover: Allitera Verlag München

Als der damals 43-jährige Samuel Langhorne Clemens nach München kam, war er kein unbeschriebenes Blatt mehr. Als „Mark Twain“ berühmt geworden mit Bestsellern wie „Die Arglosen im Ausland“ (1869) oder „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ (1876) war er mit seiner Familie nach anstrengender Reise im November 1878 aus Rom kommend in München eingetroffen. Trotz seines Erfolgs war Twain jedoch kein glücklicher Mann, vielmehr fühlte er sich vom Ruhm überrollt und dazu plagte ihn eine Schreibblockade. Das war ein Grund , weshalb er aus seiner Heimatstadt Hartford/Connecticut (das Foto unten zeigt sein Haus dort) geflohen war, ein anderer war, dass er in München Stoff für ein neues Manuskript im Stil des humoristischen Reisebericht „Die Arglosen im Ausland“ sammeln wollte; „Bummel durch Europa“ sollte das neue Werk heißen.
In der Tat wurde Twains Zeit in München zum positiven Wendepunkt in seiner Karriere. Seine Bayern-Erlebnisse haben verstreut Spuren in seinem Gesamtwerk hinterlassen, wobei München explizit im „Bummel durch Europa“, einem halb-fiktivem, satirischen Reisebericht von 1880, kaum vorkommt. Umso löblicher ist der kleine Sammelband – „Mark Twain in Bayern. Erzählungen, Reiseberichte, Briefe“ – , in dem man die Eindrücke, die Twains Besuch in Bayern literarisch hinterlassen hat, nachlesen kann. In dem 2016 im Allitera Verlag erschienenen Buch sind erstmals die sämtlichen Texte bzw. Fragmente Twains über Bayern gesammelt und mit ausführlichen Einleitungen veröffentlicht. Michael Klein hat weit verstreute Texte zusammengetragen, sinnvoll geordnet und zur unterhaltsamen Lektüre gemacht.

München – eine Liebe auf den zweiten Blick

Mit seiner Familie – Frau Olivia und den Töchtern Susy und Clara – sowie Olivias Freundin und einem Kindermädchen, verbrachte Twain im Winter 1878/79 dreieinhalb Monate in München. Schon damals galt die Stadt unter Amerikanern als eine der wichtigsten Kunststädte Europas und die Familie genoss den Kulturbetrieb, Theater und Museen, schätzte das Essen, lernte Deutsch und feierte Feste mit, beobachtete Sitten und Gebräuche.
 Man übernachtete in der Pension Dahlweiner in der Münchner Karlstraße. Die Pensionswirtin Caroline Dahlweiner war bereits aus einem Roman von Helen Hunt als „A German Landlady“ bekannt. Dennoch urteilte Twain zu Anfang harsch über die Pension: „Unser Quartier hier ist nicht paradiesisch“, die Toiletten röchen, die Tischtücher seien schmutzig, die Lärmbelästigung hoch, so schrieb er seiner Schwiegermutter. Zu seinem „Lieblings-Hassgegenstand im Haus“ wurde eine Kuckucksuhr.
„München schien der furchtbarste, der ödeste, der unerträglichste Ort zu sein!“ – so der erste Eindruck von der winterlichen Stadt. Doch schon wenig später schwärmt Twain begeistert: „Wir haben uns in München verliebt“ und „wir bekommen hier das allerbeste Essen (und die größte Vielfalt), die wir je in Europa kennengelernt haben.“

Bayreuth und Wagner

Im August 1891 besuchte Twain erneut Bayern, dieses Mal Nürnberg und Bayreuth, wo er die Wagner-Festspiele besuchte und sie ausführlich in dem Essay „Am Schrein des Heiligen Wagner“ schilderte. „Man hört nicht einen Mucks, bis der Vorhang zusammenschnurrt und die abschließenden Töne langsam verklungen und verstorben sind“. Seine ambivalente Haltung zu klassischer Musik kommt in dem Ausspruch zum Tragen: „Nur wenige Menschen sind bis zu dem Punkt gebildet, an dem ihnen hohe klassische Musik Freude bringt“.


Im Sommer 1893 kehrte Twain noch einmal für zwei Wochen nach München zurück, ehe man wegen der Herzprobleme von Twains Frau Olivia fünf Wochen in Bad Tölz verbrachte. Während der Kur erhielt Olivia Entwarnung durch einen Münchner Herzspezialisten, sie sollte entgegen anderer Prognosen noch über zehn Jahre leben. „Meine Feder hat den alten Schwung zurückgewonnen“, so der erfreute Twain. Erstes Resultat war „Der gestohlene Weiße Elefant“, eine humoristisch-kuriose Geschichte, die in dem Band von Michael Klein ebenfalls enthalten ist.

Mark Twain, Bayernfan und Nörgler

„Bayern scheint ein klug regiertes Land zu sein“, lobte Twain. Ihm gefiel, dass die Bayern überall so lustvoll fluchten, ebenso meinte er: „Die Bayern sind große, blendend aussehende Menschen.“ Man verneige sich oft und Fremde erhielten auf höfliche Fragen immer eine höfliche Antwort, allerdings seien die Manieren der Münchner im Theater so gut, wie sie in der Kirche schlecht sind. Für gewöhnungsbedürftig hielt er den Schmutz überall – „es gibt mehr Schmutz als Kunst“ – doch letztlich blickte er über die hygienischen Mängel hinweg. Dafür faszinierten ihn die alten Bräuche, die deutschen Weihnachtslieder und der Schäfflertanz. 


Dagegen mokierte er sich über das veraltete, öde deutsche Zeitungswesen. „Eine deutsche Tageszeitung ist die traurigste sämtlicher menschlicher Erfindungen.“ Es gäbe nur eine einzige gute Münchner Tageszeitung – und die erscheine nicht einmal in München, sondern in Augsburg, die „Augsburger Allgemeine“. Twain, von Jugendzeiten an mit dem Zeitungswesen vertraut, vermisste Neuigkeiten und Hintergründe, Witzspalte, Polizeiberichte und Gerichtsreportagen, Rennergebnisse, Gerüchte und Prognosen. Er verglich akribisch Machart, Schrifttypen, Spalten und Druck deutscher und amerikanischer Zeitungen und macht deutlich, wie unterentwickelt das deutsche Zeitungswesen sei.


Twain hielt es zudem für schwierig, in München die Türen der Geschäfte zu finden, „… so klein sind hier die Läden!“. Er bemängelt schon damals, nach ausgiebiger Betrachtung der Münchner Wohnhäuser, ihrer spezifischen Architektur und der strikten Hausordnungen, dass die Grundstückspreise derart horrend seien, dass nur wenige Familien in München es sich leisten können, „frei wie die Vögel ihr Nest für sich allein zu bauen“ – was bis heute gilt!

Schließlich lieferte Twain ausführliche Beschreibungen kurioser Gestalten, die er traf und beschäftigte sich ausgiebig mit Kuriositäten wie Bestattungsritualen. So schließt er sogar Freundschaft mit einem vormaligen Leichenwärter – der ihm seine Lebensgeschichte erzählt, die Twain in „Das Geständnis eines Sterbenden“ – ebenfalls in dem schönen kleinen und sehr empfehlenswerten Band zu finden, literarisch umsetzt.

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