Henry David Thoreau. Walden oder Vom Leben im Wald.


Henry David Thoreau, Walden oder Vom Leben im Wald
Kommentiert, überarbeitet und mit einem Nachwort von Susanne Ostwald
Originaltitel: Walden, or Life in the Woods
Aus dem Amerikanischen von Fritz Güttinger
Hardcover mit Schutzumschlag, ca. 608 Seiten, 9x15 cm
ISBN: 978-3-7175-2508-0
Manesse Verlag München, 2020, € 25,00





„.. er hatte keinen Beruf, er heiratete nie, ..., er ging nie in die Kirche, er wählte nie, er weigerte sich, dem Staat Steuern zu zahlen, er aß kein Fleisch, er trank keinen Wein, er rauchte keinen Tabak ...“ Treffender und knapper wie sein Freund und Mentor Ralph Waldo Emerson könnte man den Dichter und Naturphilosophen, Sonderling und Rebellen Henry David Thoreau (1817-1862) kaum charakterisieren. Von anderen Zeitgenossen wurde Thoreau – gesprochen mit amerikanischer Betonung auf dem o, wie in „sorrow“ – dagegen eher mit gemischten Gefühlen betrachtet, heute wird er dafür als einer der Urväter des Umwelt- und Naturschutzes gefeiert.

Thoreau gehörte wie Ralph Waldo Emerson (1803–1882) zu den führenden Köpfen des Transzendentalismus, deren Vertreter sich sozial-utopischen Ideen und ein einfaches Leben auf die Fahnen geschrieben hatten. Emerson und seine Schüler wandten sich gegen das traditionelle und rationalistische Denken in Staat, Kirche und in der (puritanischen) Gesellschaft, predigten die Hinwendung zur Natur und setzten sich für die Verwirklichung der eigenen Individualität ein.

Aufgewachsen als Sohn eines Bleistiftfabrikanten im Städtchen Concord, nur gut 30 km westlich von Boston, studierte Thoreau in Harvard alte Sprachen. Allerdings endete seine folgende Karriere als Lehrer schnell, da er sich weigerte, Schüler mit dem Rohrstock zu züchtigen. Als 28-Jähriger zog er sich für zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage in eine selbstgebaute Blockhütte am Walden-See, wenige Kilometer von seiner Heimatstadt entfernt, zurück, um außerhalb gesellschaftlicher Konventionen zu leben und seiner Gemeinde zu zeigen, dass er nicht nur ein „studierter Taugenichts“ sei. Das anschließend verfasste Buch ist bis heute Pflichtlektüre für jeden Amerikaner: „WALDEN oder vom Leben im Wald“.

Natürlich hat das Werk längst mehrere deutsche Übersetzungen erhalten, heuer hat der Manesse Verlag aus München jedoch endlich eine überfällige überarbeitete Übersetzung mit umfassendem Anhang und zugleich als kleines Leseschmuckstück herausgegeben.

Neu und verbessert bei Manesse
1972 erschien die Übersetzung von Fritz Güttinger im Manesse Verlag. Sie diente als Grundlage für die kürzlich grundlegend überarbeitete Version von Susanne Ostwald. Erstmals liegt „Walden“ nun auch komplett übersetzt vor, hatte doch Güttinger ihm unverständliche oder missliebige Passagen umgeschrieben oder weggelassen und oft viel zu frei übersetzt.

Ostwald hat in ihrer Übersetzung versucht, die „endlos mäandernden Satzgirlanden“ Thoreaus auch im Deutschen beizubehalten und korrekt wiederzugeben. Denn das sprachlich Ausschweifende war eines der charakteristischen Stilmittel Thoreaus. Sie hat zudem dem Werk einen Anhang mit Anmerkungen und weiterführenden Hinweisen zugefügt. Die vielfach von Thoreau verwendeten Fremdtexte wurden nicht nur als Zitate gekennzeichnet, sondern es finden sich auch die Originale im englischen Ursprungstext. Der neue, „unverfälschte Thoreau“ wurde vom Manesse Verlag als kleinformatig-handliches Büchlein vorgelegt, das in Aufmachung und Ausstattung ein Schmuckstück im Bücherregal darstellt.

Keine Spur von Einsamkeit
„Walden“ wird gerne als „Klassiker von enormer Brisanz: ein leidenschaftliches Plädoyer für Verantwortung, Selbstbestimmung und ein naturnahes, ressourcenschonendes Leben“ bezeichnet. „Nirgendwo finden sich die besseren Argumente für Achtsamkeit und Nachhaltigkeit, Minimalismus und Vegetarismus“ – so der Verlagstext weiter, der „Walden“ auch als „Pflichtlektüre für alle Fortschrittsskeptiker, Sinnsucher, Weltflüchtige sowie Wald- und Naturliebhaber“ empfiehlt.

Abgesehen davon, dass Thoreaus Ausschweifungen nicht immer einfach zu lesen sind, wird „Walden“ gerne als „grüne Bibel“ überinterpretiert. Zwischen 1845 und 1847 hatte sich der Autor für 26 Monate an den Walden Pond in eine, von ihm erbaute, primitiv ausgestattete Hütte zurückgezogen. Thoreaus Hauptwerk sollte man dennoch nicht als Anleitung zum Leben in der Einsamkeit der Natur verstehen, vielmehr handelt es vom Einklang des Menschen mit Stadt und Umwelt. Thoreau sah sich in erster Linie als Verfechter eines einfachen Lebens.

Denn Vorsicht: Walden Pond und der den See umgebende Wald ist keine Wildnis, liegt nahe Thoreaus Wohnort Concord und war immer schon von Menschen frequentiert und bewohnt worden. Auch lebte Thoreau nicht in der Einsamkeit. Er empfing täglich Besucher, manchmal drängelten sich die Menschen in seiner Hütte. Zudem spazierte er fast täglich in die Stadt und lud sich gern bei Freunden oder Familie zum Essen ein.

Vielseitiges Oeuvre
Den intellektuellen Außenseiter, Dichter und Denker, aber auch starrköpfigen Sonderling und Aussteiger nur auf das konsumkritische „Walden“ zu reduzieren, würde Thoreau als Naturfreund und Lebenskünstler nicht gerecht. Thoreau hat ein weit vielseitigeres und zum Nachdenken anregendes Oeuvre hinterlassen. Vieles davon wurde posthum veröffentlicht, so das 1864 erschienene „The Maine Woods“. In diesen drei Essays über Reisen, die Thoreau 1846, 1853 und 1857 in die Wälder von Maine unternommen hat (dt. Übersetzungen im Jung und Jung Verlag, s.u.), geht es um „wahre Wildnis“ fernab der Zivilisation.

Das heute aus dem Kanon politischer Protestliteratur nicht mehr wegzudenkende Traktat „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ geht dagegen auf Thoreaus Prinzipientreue und Starrsinn zurück. Er ging lieber eine Nacht ins Gefängnis als mit Steuergeldern Sklaven- und Kriegspolitik zu unterstützen ...

Weitere Lesetipps zu Thoreau:
Henry David Thoreau, Ktaadn
Mit einem Essay von Ralph Waldo Emerson; aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann, Jung und Jung Verlag Salzburg/Wien, 2017, 160 Seiten, gebunden, 20 €.

Henry David Thoreau, Die Wildnis von Maine. Eine Sommerreise
Mit einer Vorbemerkung von Nathaniel Hawthorne; aus dem Amerikanischen übersetzt und hsg. sowie mit einem Nachwort versehen von Alexander Pechmann, Jung und Jung Verlag Salzburg/Wien, 2. Auflage 2015, 160 Seiten, gebunden, 19,80 €.

Fotos: © MB mit Ausnahme Porträt Thoreaus (Wikimedia Commons)

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