Paul Theroux, Tief im Süden


Paul Theroux, Tief im Süden. Reise durch ein anderes Amerika.
Mit Fotos von Steve McCurry
Hoffmann und Campe Verlag, 2015, www.hoca.de, 26 Euro
608 Seiten, Übersetzung R. Pfleiderer, F. Reinhart, S. Schmid
Foto Cover ©Verlag

Wenn man von den Südstaaten der USA spricht, dann tauchen Bilder wie aus dem verfilmten, weltberühmten Südstaaten-Epos von Margaret Mitchell „Vom Winde verweht“ auf: Endlose Baumwollfelder, mit „Spanish Moss“ behangene Eichenalleen, prunkvolle Herrenhäuser, beschauliche Städte mit schmucken historischen Villen, „Southern Belles“, aber auch bescheidene Hütten, in denen die armen Nachfahren der Sklaven und die weißen „Rednecks“ wohnen. Diese Bilder ziehen an einem vorbei wenn man beispielsweise entlang dem Küstenabschnitt zwischen Savannah in Georgia und dem nördlich gelegenen Charleston/South Carolina unterwegs ist.

Trotz aller Gastfreundlichkeit und Redseligkeit der Südstaatler beschleicht einen gelegentlich ein eigenartiges Gefühl, wie Paul Theroux: „Da wusste ich, dass der Süden mich nicht loslässt – mal in einer wohlige Umarmung, mal in einer unerbittlichen Umklammerung.“  Theroux schildert in seinem grandiosen Reisebuch „Tief im Süden. Reise durch ein anderes Amerika“ seine Gefühle für und seine Gedanken über diese Region nach vier ausgiebigen Reisen durch die Südstaaten.

Ein Yankee tief im Süden

Paul Theroux, 1941 in Massachusetts geboren, war nach seinem Studium kurzzeitig Lehrer in Malawi, Uganda, und in Italien, ehe er 1972 Reiseschriftsteller wurde. „The Great Railway Bazaar“ – ein Bericht über eine Bahnreise um die halbe Erde – war sein erster Bestseller. Beeinflusst von Bruce Chatwin und V.S. Naipaul hat er es inzwischen auf mehr als 40 Bücher gebracht und gilt damit als einer der bekanntesten angelsächsischen Autoren. Neben autobiografisch beeinflussten Büchern und Sachbüchern hat er vor allem mit Berichten über seine Reisen durch China, Argentinien und die Südsee Weltruhm erlangt.

„Tief im Süden“ – im Original: „Deep South“ – ist sein zehntes Reisebuch. Dabei widmet sich der Weltenbummler Theroux erstmals seinem eigenen Land, genauer gesagt, den Südstaaten. Er empfindet diesen Landstrich als eine unbarmherzige Welt, in der man jedoch immer wieder auf Mut, Herzlichkeit und stark ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl stößt. Oft glaubt sich Theroux auf seinen Reisen durch den Süden an die ärmsten Länder der Welt erinnert. Exotisch erscheint ihm die Gegend, überraschend die Offenheit, mit der ihm die Menschen begegnen.



Rassismus und Segregation
Theroux erkundet abseits der Hauptrouten und Touristenattraktionen fast verlassene Ortschaften, trifft Kirchgänger und Pastoren in Freikirchen, unterhält sich mit „Rednecks“ auf Waffenausstellungen und fährt auf Nebenrouten durch Dörfer und die Landschaft entlang dem „Ol’ Man River“, dem Mississippi. Dabei sind Rassismus und die Folgen von jahrhundertelanger Segregation allgegenwärtig. Theroux begibt sich hinein in diese noch immer gespaltene Gesellschaft, fragt behutsam nach und hört aufmerksam zu, getrieben von beständiger Neugier. Faszination wechselt sich ab mit Verwunderung über diesen Teil Amerikas, der selbst dem US-Bürger Paul Theroux fremd zu sein scheint.

Unumstritten ist Theroux’ Fähigkeit zuzuhören, die Leute zum Reden zu bringen und die Landschaften eindrucksvoll zu beschreiben. Bei der Lektüre des Buches sieht man nicht nur Menschen und Landschaften vor sich – dazu tragen auch die SW-Bilder des Fotografen Steve McCurry bei –, sondern wird auch animiert, die Südstaaten selbst kennenzulernen. Theroux ermutigt Leser, ausgetretene Pfade zu verlassen und liefert mit „Tief im Süden“ einen wichtigen Beitrag für ein besseres Verständnis der USA. Die Vereinigten Staaten sind nicht nur geografisch kaum fassbar, sondern bestehen zugleich – wie schon im 19. Jh. der Dichter Walt Whitman feststellte – aus einer „Nation of Nations“, aus unterschiedlichsten Ländern, die oft nicht viel gemeinsam haben – nicht einmal die Sprache, wie man in den Südstaaten rasch merkt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen