Daniel C. Schmidt, This is America

Daniel C. Schmidt, This is America. Reisen durch ein Land im Aufbruch.
Klappenbroschur, 252 Seiten
Aufbau Verlag Berlin, 2020
ISBN 978-3-351-03741-3, 18 €
© Cover-Foto: Aufbau Verlag

Schmidts Buch ist ein »Roadtrip durch eine Nation im Wandel«, Reportage, Sachbuch und persönlicher Erfahrungsbericht in Einem. Speziell in den letzten Monaten, forciert durch die Corona-Krise – und damit verbunden mit mehr verfügbarer Zeit für Viele –, vor allem aber durch das unerklärliche bis widerwärtige Verhalten des US-Präsidenten und schließlich durch die Rassenunruhen, sind mehrere Bücher in deutscher Sprache auf den Markt gekommen, die sich mit dem Phänomen Amerika und der Mentalität der Amerikaner befassen. Nicht alle davon zeugen von großer Kennerschaft und Sachverstand, der hier vorgestellte Band von Daniel C. Schmidt, zählt jedoch zu den lesenswerten.

Bei den Ausführungen auf rund 250 Seiten handelt es sich um einen Flickenteppich, ein Mosaik, ein Wimmelbild einer polarisierten Gesellschaft. Aus verschiedensten Perspektiven und anhand höchst unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und Charaktere betrachtet Schmidt Funktionsweise von Gesellschaft und Politik. Er greift signifikante Themen und Beispiele heraus und versucht herauszufinden, was Amerika ausmacht und wie Politik funktioniert. Ergebnis ist eine Analyse des Amerika der letzten Jahre, in die immer wieder die persönliche Sichtweise des Autors, manchmal auch seine etwas weitschweifigen Beobachtungen und Gespräche einfließen.

Wie »ticken« die Amerikaner?
Daniel C. Schmidt (*1984) studierte Politik und Wirtschaft in Manchester und London, ehe er sich für sieben Jahre in Berlin als freier Journalist niederließ. Anfang 2016 zog er in die USA um über den Präsidentschaftswahlkampf für deutsche Medien zu berichten. Seitdem schreibt er von dort als freier Reporter über Politik, Gesellschaft, und Popkultur, u.a. für die Frankfurter Allgemeine, den SPIEGEL, DIE ZEIT, den Tagesspiegel oder die Neue Zürcher Zeitung. Ende 2019 verfasste er »This is America«, ein Buch über seine Zeit in den USA und darüber, wie seiner Meinung nach die Amerikaner »ticken«. Rote Faden ist dabei die Frage, warum sich ein Volk für einen Präsidenten wie Trump entscheiden konnte.

Schmidt reist durch die USA und spricht mit Menschen unterschiedlichster Couleur, er befasst sich mit Immigranten an der Grenze zu Mexiko, mit dem Opium-Problem, mit PTBS unter Kriegsveteranen (auf dem Bild unten Veteranen bei der Steuben Parade in NYC) und mit Rassismus – u.a. am Beispiel der »Dirt-Biker« in Baltimore, die für ein freies Schwarzes Amerika kämpfen. Frauenrechte, Waffenlobby und der Widerstand gegen sie, oder die möglichen demokratischen Vizepräsidentschafts-Kandidaten sind weitere Themen.



Das Buch beginnt mit dem ersten Tag der Präsidentschaftswahl, 2016, Schmidt reist zu Wahlkampfveranstaltungen und erlebt den Sieg Trumps mit. Ein Rückblick auf die Obama-Präsidentschaft und Michelle Obamas Bedeutung – von Republikanern und Weißen abschätzig oft »First Monkey« genannt – führt zum Thema Frauenrechte. Das Kapitel »Schuss-Wechsel« befasst sich mit Waffen und Waffengesetzen in Amerika und beschreibt den Umgang von Schülern mit der Angst. Das 2nd Amendment von 1791 erlaubt grundsätzlich jedem einzelnen Amerikaner, eine Waffe zu besitzen und zu tragen. »Showtime« schildert einen Abend mit Trumps treusten Fans – u.a. den beiden schwarzen Show-Ladies, Aktivistinnen, Bloggerinnen und Social-Media-Stars »Diamond & Silk«, die Trump vergöttern und für ihn Werbung machen.

An der texanisch-mexikanischen Grenze unternimmt Schmidt einen »Seiten-Wechsel«, quert die Grenze ins mexikanische Nuevo Laredo (das Foto zeigt das texanische Grenzdorf Boquillas) und interviewt dort den Bürgermeister. Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) bei Kriegsveteranen sind ein weiteres Thema, das in den USA ebenso gravierend ist wie es ignoriert wird. "Wrestling gegen das Trauma" ist ein Programm, das Schmidt in San Antonio, Texas, kennengelernt hat. Gleichermaßen bedrohlich: die Opiumkrise. In »Zwei Mütter« geht es um die Macht der amerikanischen Pharma-Industrie, die mit teuren Schmerztabletten viele Menschen hochgradig süchtig macht. Babies von opiumabhängigen Müttern stellen ein besonders trauriges Kapitel dar. Ob man den folgenden Text über Elizabeth Warren und Alexandria Ocasio-Cortez aus der Bronx später noch einmal nachlesen wird, ist zu hoffen. Beide gelten als Kandidatinnen für die Vize-Präsidentschaft unter Joe Biden, der ebenfalls en detail betrachtet wird.

Trump, nur ein »Unfall«?
»Trumps Sieg 2016 wirkte wie ein Unfall in einem Amerika, das sich auf der Suche nach einer Post-Obama-Identität hatte blenden lassen«, schreibt Schmidt. Wie groß die Chancen sind, dass dieser »Agent of Chaos« im November wiedergewählt wird, ungeachtet der Anrüchigkeit vieler seiner Geschäfte, trotz seines Verhaltens Frauen und Minoritäten gegenüber, bleibt auch nach der Lektüre des Buches offen. Was die Amerikaner allerdings gar nicht mögen, ist es, wenn der Präsident vom Rest der Welt nicht anerkannt wird. Oder, wie Schmidt es ausdrückt: »Präsidentschaft ist ein amerikanisches Ideal wie apple pie und die USA mag nicht vom Rest der Welt verlacht werden«.


(Fotos: Wandbild in Brooklyn Bushwick (©Bushwick Collective) und Figur auf dem Balkon eines Hauses an der Highline in NY)

Wie Schmidt ebenfalls selbst sagt, können die Geschichten nicht viel mehr liefern als kleine Ausschnitte aus einem riesigen Land. Wie bzw. welcher »Riss durch die Gesellschaft« geht, ist Definitionssache, es ist nicht unbedingt Schwarz-Weiß oder Stadt-Land. Die Situation ist ebenso vielschichtig wie die Gesellschaft selbst. Charakteristisch für die Amerikaner ist zudem ihr eingeschränkterer Blick auf die Welt draußen. Sie kümmern sich vorrangig um ihre eigenen Angelegenheiten und weniger um Weltpolitik, Fox News oder Social Media. Die Familie, der engere Umkreis, Kirche und Gesundheit spielen eine wichtigere Rolle als die Welt und ihre Sorgen. Hingegen überrascht Schmidt die Gastfreundlichkeit der Amerikaner gegenüber Wildfremden und er gibt zu, dass »gemeinsame Ritualausübungen« einen zwar nicht näher bringen, aber das Verständnis für das ewige Experiment »The Idea of America« fördern.

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