Philipp Meyer, Der erste Sohn

Philipp Meyer, Der erste Sohn
608 Seiten, aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog,
gebunden mit Schutzumschlag,
Knaus-Verlag 2014, 24,99 €,
ISBN: 978-3-8135-0479-8
www.randomhouse.de/knaus
@Fotos Buchcover Verlag

„… Texas ist beglückend, verärgernd, gewalttätig, bezaubernd, grausam, herrlich – kurzum: voller Leben.“ Edna Ferber (1885-1968) charakterisierte in ihrem Epos „Giant“ (1952, dtsch.: Giganten, 1954, Neuaufl. 2005), der eine texanische Rancher-Dynastie zum Thema hat, den ungewöhnlichsten der 50 US-Bundesstaaten vortrefflich. Allein die Ausmaße – Deutschland passt fast zweimal hinein –, doch auch die komplexe Geschichte machen Texas selbst für Einheimische zum Unikum. Neben Ferber beispielsweise haben auch Larry McMurtry („Lonesome Dove“), Cormac McCarthy („Blood Meridian“, „All the Pretty Horses“) oder der weniger bekannte Americo Paredes („George Washington Gomez“) Texas thematisiert. 
In diese illustre Gruppe reiht sich Philipp Meyer mit dem hier vorgestellten packenden Epos über den amerikanischen Westen. ein.

Moderner amerikanischer Klassiker
Bereits kurz nach Erscheinen von „The Son“ 2013 in den USA, folgte 2014 die von Hans M. Herzog vorzüglich übersetzte deutsche Ausgabe „Der erste Sohn“ im Knaus-Verlag (Random House), als „moderner amerikanischer Klassiker“ gefeiert. Meyers Roman setzt zugleich die Reihe moderner Western - im Stile von McMurtry oder McCarthy - fort. Auch Thomas Berger ("Little Big Man"), Oakley Hall ("Warlock"), James Carlos Blake ("In the Rogue Blood") oder Elmore Leonard ("Last Stand at Saber River") sind Vertreter dieses Genres.

Obwohl der 1974 in Baltimore/Maryland geborene Philipp Meyer die Schule vorzeitig verließ und sich zunächst mit diversen Jobs über Wasser hielt, entschloss er sich mit 20 zu einem Literaturstudium an der Cornell University (Ithaca/NY). Nach dem Abschluss arbeitete er als Broker an der Wall Street und begann zu schreiben. Ein Stipendium ermöglichte ihm den Aufenthalt an der University of Texas in Austin (Foto), wo er seinen ersten Roman „American Rust“ (dt. „Rost“) begann. Dieses Buch ließ Meyer über Nacht zu einem der hoffnungsvollsten amerikanischen Nachwuchsautoren werden. Mit seinem zweiten Werk, „Der erste Sohn“, stellte der heute in der texanischen Hauptstadt Austin und in New York City lebende Autor erneut sein Talent unter Beweis.



Texanische Familiensaga aus verschiedenen Perspektiven
Zitate aus Edward Gibbons historischem Meisterwerk „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“ aus dem späten 18. Jahrhundert stehen nicht zufällig am Anfang des Romans: Auf über 600 Seiten schildert Meyer am Beispiel der Familie McCullough das Auf und Ab verschiedener Kulturen seit der texanischen Unabhängigkeit 1836. „Der erste Sohn“ ist eine Geschichte über die Eroberung des amerikanischen Westens ebenso wie über den Kampf um Land, Öl und Macht sowie den Konflikt zwischen Vater und Sohn.


Meyer erzählt die Familien- und Texas-Saga aus der Sicht von drei Personen: Da ist der Clangründer Eli McCullough, am Tag der texanischen Unabhängigkeit 1836 geboren, von Comanche-Indianern geraubt und selbst zum „Wilden“ geworden. Nach Ende des „Comanche Empire“, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wandelte sich Eli zum „Colonel“, der skrupellos, getreu dem Motto seines Comanche-Ziehvaters – „Reich wird man nur durch Diebstahl“ – ein Rinder- und Ölimperium aufbaute.


Peter, der Sohn des Colonels, wird dagegen als schwach und vom Vater ungeliebt geschildert. Er bringt die Rolle der „Tejanos“, der Nachfahren der einst das Land besitzenden Mexikaner, zur Sprache. Und Peter verfügt, anders als sein Vater, über Moral. Dennoch verlässt er die Familie und flieht vor der Verantwortung und dem Familienclan zu seiner mexikanischen Geliebten nach Guadalajara
.


Die dritte Hauptperson schlägt schließlich den Bogen zum 21. Jahrhundert: Die 1926 geborene Jeanne Anne, Ur-Enkelin des Colonels, ebenso ehrgeizig und skrupellos wie dieser, hatte einst die Ranch und das Ölunternehmen geleitet. Nun verbringt sie ihre letzten Jahre einsam in der Familienvilla. Meyer gibt hier erstmals den sturen, konservativ-republikanischen Matronen, die bis heute den Westen mitprägen, eine Stimme.

Auch wer Western oder historische Romane nicht zu seiner Lieblingslektüre zählt, wird schnell von diesem Epos gefesselt werden. Meyer schildert virtuos eine Geschichte voller unkonventioneller Liebe und verbotenem Sex, aggressiven Konflikten und roher Gewalt, skrupellosem Machtmissbrauch und konstanter Korruption.
„Der erste Sohn“ ist ein packendes Epos über den amerikanischen Westen und seine sich wandelnden Kulturen und zugleich ein historischer Roman, der stets eine klare Distanz zur Vergangenheit wahrt. Unbedingt empfehlenswerter Lesestoff!

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